Generative Digitaltechnologien & Ethik
Nicht auf dem Niveau hochwertiger Endreflexionen hermeneutisch kompetenter Akteure, aber sicher auch nicht ganz schlecht. In der Medizin sehen wir vergleichbare Entwicklungen, nicht akkurat und authentisch genug für Entscheidungen, ja oft nicht einmal für nicht-neurotische Informationen, aber doch ungemein, ja geradezu verführerisch hilfreich bei vielen möglichen Anwendungen von Sprach- und weiteren Simulationen. Handelt es sich bei solchen Technologien um graduelle, letztlich quantitative Entwicklungen oder doch um strukturelle, qualitative Sprungveränderungen, vor allem gesellschaftlich?
Letzteres, denn nun wird deutlich: Die Selbstabschaffung des Menschen ist in Reichweite. Oder? Nicht im Sinne starker KI, vielleicht nicht einmal im Sinne von KI. Aber bestimmt im Sinne eines gesellschaftlich wirkmächtigen Heteronomiemagneten. Das Denken, ja moralisches Urteilen zu externalisieren ist nicht bloß gefährlich, es ist unethisch. Die edelste Aufgabe des Menschen ist in den philosophischen Überlegungen zur Aufklärung gut erfasst: Autonomie ist nicht die Freiheit des Bratenwenders, sondern die tranzendentale Freiheit, sich selber aus Vernunft geborene Gesetze zu geben und nach jenen zu Leben. Jene Freiheit aber ist verloren, wenn wir mehr tun, als Unterstützung in lässlichen Tätigkeiten, die absurd bürokratisch, quälen repetitiv oder mozardistisch überflüssig sind technisch zu ermöglichen, sondern wenn auch oft sublim, schleichend wesenhafte Qualitäten unseres Menschseins durch Maschinen erledigen lassen. „Technik für ein gutes Leben“ ja, aber nur so, dass wir vom „Segen der Technik“ sprechen können.
Solch faszinierende Technologie wird nicht gleich zu einer Realdystopie führen, aber hat Potenzial. Nämlich genau weil sie unsere Welt mimetisch wahrnimmt, weil Fakten relativ werden, Wissenschaft und Mythos eins und keine große Geschichte mehr das Human erfordert. Die Medizin ist in ihrer ganz besonderen Dignitas vor allem ethisch gefordert, deutlich zu machen, wie solche Technologien eben in einem menschennahen Sinne eingesetzt werden können, einem Sinne, der nicht zwingend immer dem Erstwunsch der Menschen selbst nach Bequemlichkeit, Einfachheit und Kürze entsprechen mag.
Statt Aufklärung für Patienten endgültig zum Enthaftungsmarketing zu verwischen, ist an Datensouveränität zu arbeiten – digital health literacyist eine Generationenaufgabe. Statt siechende Digitalkompetenzen bei Ärztinnen und Ärzten, Pflegenden etc. durch digitale Ersatzmaßnahmen zu kompensieren, ist auf Stärkung der USPs gegenüber jenen Ersatzmaßnahmen zu fokussieren, wie Empathie, Ethik, Reflexion und smarter Umgang mit den Systemen selber. Statt Systeme zur Entbürokratisierung von Systemen einzusetzen, wäre die Reduktion von „unnecessary waste“ in Prozessen und Regularien selbst von Vorteil. Statt von Datenpräzision zu schwärmen, sollte soziale Präzision im Vordergrund stehen.
Solch faszinierende Technologie wird nicht gleich zu einer Realutopie führen, aber hat Potenzial. Nämlich weil sie unsere Welt dort erleichtern kann, wo wir selbst dazu nicht mehr in der Lage sind aktuell – aber nicht die Zeit haben, uns wieder ins Maß zu setzten (Stichwort: Nachhaltigkeit). Es gibt keine Pflicht zur Techniknutzung, allerdings sehr wohl zur verantwortlichen Techniknutzung für gute Zwecke. Da spielt Medizin ganz vorne mit. ChatGPT & Co. können und sollen Medizin verbessern helfen, aber ein besonders intensiver ethischer Reflexionsumgang ist geboten.
Medizin im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit mag näher kommen, aber nur dann, wenn man von der Medizin die ihr wesenhafte Ethik subtrahiert. „Ethik“ aber ist mehr als das Verfassen eines Textes über Ethik. Ethik ist Reflexion aber auch die Bedingung der Möglichkeit für ein gutes Leben in Freiheit, Solidarität, Frieden und Würde. Dazu zählt auch, weiterhin kritisch darauf zu achten, dass eine generative Medizin eine Mehrklassenmedizin nur dort zulässt, wo ihr Gegenteil ungerecht wäre. Wo Ersetzung anfängt und Unterstützung aufhört muss nun wieder neu vermessen und diskutiert werden. Auch in der Medizin.
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