Die Geister, die ich rief: Fluch und Segen der Technik

Hephaistos schuf aus Lehm einst die Pandora – frei übersetzt, die Allbegabte. Sie kam mit allerlei positiven Eigenschaften geschmückt jedoch auch ausgestattet mit einem Potpourri an Übeln in ihrer Büchse. Was hat das hier zu suchen, werden Sie als geneigter Leser sich fragen. Nun gut, der reflektierte Beobachter der Moderne sieht so manche Parallele in heutigen Entwicklungen. Wir haben alles stets parat, sämtliches Wissen ist omnipräsent und inzwischen kann jedes Kind mit dem mobilen Gerät alles abrufen. An und für sich schön und auch sehr positiv, jedoch liegt in alledem durchaus auch der Fluch der digitalen Fußfessel. Während sich die vergangenen 30 Jahre damit befassten, wie wir das Internet, das Handy und die Konnektivität überall verbreiten, ist es heute höchste Zeit auch an das Abschalten der Technik, an die digitalen Auszeiten zu denken. 

Technologie hält überall Einzug, Technologie ist der Game Changer, in der Digitalisierung steckt das größte Entwicklungspotenzial für die Medizin der Zukunft. Chat GPT wird die Art und Weise wie wir denken revolutionieren. Ja, all diese Schlagworte, all diese Headlines sind wahr. Doch wie alles im Leben sind auch diese „cum grano salis“, das heißt, nicht als uneingeschränkte, unumstößliche Fakten zu nehmen, sondern als relativ einzustufen. Die Frage ist demnach auch nicht mehr, ob die Technik in der Lage sein wird, menschliche Aufgaben zu lösen – die Frage lautet präziser: Welche Aufgaben werden wann wie gut technisch gelöst werden? Was können wir delegieren, was wollen wir delegieren und was machen wir dann mit dieser neu gewonnenen freien Zeit? 

Ich teile die Auffassung, dass wir uns die Technik zunutze machen, sie für uns einsetzen sollen und müssen. Ich freue mich über jede stupide, redundante, repetitive Tätigkeit, die wir automatisieren können. Was heißt das ganz konkret für die Medizin? Die ohnehin schon enormen und stetig zunehmenden Verwaltungsaufgaben in der Medizin stellen zu großen Teilen eine absolute Verschwendung der Ressource Arzt dar. Ein Heilberufler, der tippt, tut etwas, das nicht seinem Berufsbild entspricht. Formulare ausfüllen gehört zum Leben, jedoch können gerade derartige Aufgaben an die Technologie delegiert werden. 

Schon jetzt arbeiten wir daran, die Tastatur aus dem Behandlungszimmer verschwinden zu lassen und dem Arzt den idealen, unsichtbaren digitalen Assistenten mit auf den Weg zu geben, der immer gerne zuhört. Die Sprache ist ein wunderbares Werkzeug, um der Technik zu sagen, was sie zu tun hat. Dann dreht sich wieder alles um die Medizin, alles um den Patienten.

Technik im Hintergrund – der Mensch im Vordergrund

Die langjährige Ausbildung zum Arzt qualifiziert weniger dafür, sich mit Papier und Programmen zu befassen als mit dem Menschen. Anders gesprochen: moderne Technik kann uns vieles abnehmen, aber gerade in der Medizin könnte es schon deutlich mehr sein. Wir befinden uns gerade erst am Anfang der Reise. 

Die Technik muss im Hintergrund laufen, sie muss und wird den Menschen wieder ins Zentrum rücken. Sobald es uns gelungen ist, die Dokumentationsaufwände vollständig zu digitalisieren und die geballte Kraft der Technik auf deren Bewältigung und Vereinfachung zu dirigieren, sind wir Menschen wieder frei. Dann kann der Arzt die neu gewonnene Zeit für seine Kernkompetenz, die menschliche Interaktion mit dem Patienten nutzen. Die Technik agiert unsichtbar im Hintergrund, der Mensch ist ihr Lenker. 

Versuchen Sie es immer wieder: gehen Sie ohne Handy zum Abendessen, schalten Sie die Technik bewusst und möglichst langfristig gänzlich aus. Sie werden feststellen, wie gut es Ihnen und Ihrem Gegenüber tut. Widmen Sie sich dem, was keine Technik der Welt kann: Ihren Gedanken freien Lauf zu lassen und intelligente Kreativität zu entwickeln. Daraus entspringen sie dann, die Lösungen von Morgen. Lassen wir Serendipität zu, den glücklichen Zufall, der sich nicht planen lässt. Genießen wir die Zeiten, in denen wir keinen Empfang haben, in denen wir Ruhe zum Nachdenken haben, weil wir nicht auf Standby sind. Nicht wir sind die Sklaven der Technik, sondern wir sind schlau genug, uns die Technik zu unterwerfen und uns wann immer wir es möchten völlig von ihr frei zu machen. Sie wissen, wann der Geist zurück in seine Flasche gehört.

Freuen wir uns daran und darauf.

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PD Dr. Dominik Pförringer
Gründer des Digital Health Summit