Interoperabilität im Gesundheitswesen
Personalisierte Präzisionsmedizin, die durch Analyse von hochwertigen Daten aus allen Sektoren mittels immer besseren KI-Algorithmen Diagnostik unterstützt, Patientensicherheit erhöht, effizientere Prozesse ermöglicht und sowohl präventive Medizin als auch Disease Interception unterstützt – ein Werbespruch für ein neues Start-up? Ein Traum? Realität im Jahre 2050 oder bereits jetzt, aber eben nicht in Deutschland?
Woran scheitert es eigentlich? An mich als Medizinerin mit Tätigkeitsschwerpunkt digitale Medizin eine häufig gerichtete Frage. Eigentlich ist die Antwort einfach: es fehlt uns an Interoperabilität im Gesundheitswesen. Dabei wurde diese basierend auf Änderungen im § 394a SGB V im Oktober 2021 mit einer Verordnung geregelt: der Gesundheits-IT-Interoperabilitäts-Governance-Verordnung. Kurz: der GIGV.
Die GIGV regelt verbindlich die Vorgehensweise für die Zulassung von interoperablen Standards basierend auf vier Säulen: dem InteropCouncil, dem Expertenkreis, der Plattform INA und der Koordinierungsstelle bei der gematik.
Der Interop Council ist ein im Einvernehmen mit dem Bundesgesundheitsministerium Ende 2021 von der gematik berufenes 7-köpfiges Expertengremium, welches durch die Koordinierungsstelle in seiner Arbeit unterstützt wird. Die 7 Expert:innen vertreten die 7 durch die GIGV definierten Gruppen, die für die Herstellung von Interoperabilität in der digitalen Medizin so wichtig sind: die IT-Anwender, die Industrie, die Bundesländer, die Standardisierungsorganisationen, die Verbände, die Fachgesellschaften sowie die wissenschaftlichen Einrichtungen und Patientenorganisationen. Vertreter:innen dieser 7 Gruppen können sich als Expert:innen für den Expertenkreis registrieren lassen, um aktiv an der Arbeit des Interop Councils, zum Beispiel in Arbeitskreisen, teilzunehmen – bis März 2023 wurden bereits 175 Expert:innen akkreditiert.
INA, der Interoperabilitäts-Navigator, ist eine dynamische Wissensplattform, auf der neben den Handlungsempfehlungen und Positionspapieren aus den Arbeitskreisen des Interop Councils, vor allem die Veröffentlichung von Interoperabilitäts-Standards erfolgt. Hierfür wurden in den ersten Sitzungen 2021 Kriterienkataloge definiert und veröffentlicht, mittels derer Standards, Leitfäden und Profile für eine Aufnahme und spätere Empfehlung an das BMG geprüft werden. Durch die Veröffentlichung auf INA ist dann ein weiteres wichtiges Ziel erreicht: die Wiederverwendbarkeit.
Einheitliche, international gültige Standards und Terminologien spielen nicht nur in der Forschung eine immer größere Rolle: sie sind für einen interoperablen Gesundheitsdatenaustausch unabdingbar. Auch in Deutschland setzt sich die Nutzung von FHIR durch: Fast HealthcareInteroperability Resources (FHIR) ist ein moderner, offener, technischer Standard, der bereits vielfach genutzt wird und der durch die Veröffentlichung von wiederverwendbaren Spezifikationen (zum Beispiel für die ISiK= Informationstechnischen Systeme im Krankenhaus-Verfahren) einen verbindlichen Standard und eine standardisierte Schnittstelle für den Austausch von Gesundheitsdaten zur Verfügung stellt. Mit dem ISiK Basismodul in Kombination von weiteren Standards und Profilen konnten so bereits zahlreiche Anwendungen umgesetzt werden, beispielsweise die Integration von Entscheidungsunterstützungssystemen.
Gerade in Bezug auf die sektorenübergreifende Interoperabilität, wie sie beispielsweise für eine nutzenorientierte Anwendung der elektronischen Patientenakte (ePA) unabdingbar ist, bleibt noch sehr viel zu tun. Da ist der Weg der Patient:innen durchs System schon sehr holprig. Ende Februar berichtete ein junger Patient, der 2020 an einem Hodgkin-Lymphom erkrankte, von seiner Kontroll-CT Untersuchung am 20.1.23 bei einer ihm vormals unbekannten Radiologin. Als diese seine aktuellen Thorax-CTs in Ermangelung der Vorbefunde nicht befunden konnte, zog er sein Handy aus der Hosentasche, wählte die maßgeblichen CTs aus und gab sie für die Radiologin frei. Binnen weniger Minuten konnte so geklärt werden, dass kein neuer Tumor zu sehen war. Er machte eine kurze Pause, blickte in die Runde und sagte: „So hätte ich mir das gewünscht. Das ist aber gelogen – reine Fiktion“ und erzählte dann die komplette Geschichte. Diese umfasste mehrfache Anrufe, Gänge, Faxe, CD-Roms, E-Mails verschlüsselt und unverschlüsselt, Posteinschreiben, QR-Codes, Wartezeiten, Briefe und das zwischen der niedergelassenen Radiologin, dem überweisenden Lungenfacharzt, dem Patienten und dem 2020 behandelnden Krankenhaus. Am 19.2.23 erhielt er endlich den erlösenden Anruf, dass kein Rezidiv-Tumor zu sehen war. Sektorenübergreifende Interoperabilität sieht anders aus.
Zentrale Botschaft dieses kurzen Artikels über Interoperabilität in der Medizin, muss sein, dass es uns alle etwas angeht. Alle, also Mitarbeitende im Gesundheitswesen, ITler:innen, Medizintechnik, Industrie und vor allem auch die Patient:innen und ihre Angehörigen. Nur durch die Zusammenarbeit aller an der digitalen Versorgung Beteiligten schaffen wir sektorenübergreifende Versorgungspfade, die dann auch zum Nutzen aller funktionieren.
Die digitale Transformation in der Medizin kann nur unter dieser Mitwirkung funktionieren und die Stationen der Roadmap des Interop Councilszeigen dies exemplarisch auf: neben einer Reihe von technischen Interoperabilitäts-Fragen sind wichtige Themen wie Pflege-Journey, Medikationsprozesse, Messenger-Systeme, seltene Erkrankungen, ambulante Use Cases bis hin zum Diabetes mellitus bereits bis Ende 2024 vorgesehen. Es ist noch viel zu tun, bis Interoperabilität die digitale Medizin sektorenübergreifend und für alle Beteiligten verbessert. Dennoch ist in 2022 ein Aufbruch passiert, der immer mehr Expert:innen anspricht, deren Input gebündelte Power ins System bringt und genau das brauchen wir.
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