WENIGER WUNSCHDENKEN, MEHR WIRKUNG!

Wir leben in einer Zeit, in der das Versprechen von Gesundheit so verführerisch ist wie noch nie. Zwischen Vitamin-Gummibärchen, Detox-Kapseln, Anti-Stress-Sprays und Schlafdragees entsteht der Eindruck, Wohlbefinden ließe sich einfach Kaufenn. Und dies am besten an der Kasse im Drogeriemarkt, schnell noch zwischen Zahnpasta und Kaugummi. Die Regale sind prall gefüllt, die Verpackungen glänzen und die Werbeversprechen klingen nach wissenschaftlicher Revolution. Doch allzu oft steckt dahinter erstaunlich wenig Belegbares.

Auf der anderen Seite stehen vier Dinge, deren Wirkung auf unsere Gesundheit seit Jahrzehnten nachgewiesen ist: Bewegung, Schlaf, Ernährung und Stressreduktion. Nichts davon ist neu. Nichts davon kostet besonders viel. Und doch greifen viele instinktiv eher zu einer Pille als zu einem Spaziergang. Warum?

Vielleicht, weil Prävention eine unbequeme Wahrheit enthält: Sie verlangt etwas von uns. Der innere Schweinehund ist dabei nicht unser Feind, sondern unser evolutionäres Erbe. Er ist ein Energiesparmodus, der uns einflüstert, dass ein Sofa sicherer ist als ein Waldweg. Eine Pille überlistet ihn mühelos. Sie verspricht Veränderung ohne Anstrengung, Wirksamkeit ohne Schweiss. Sie ist die perfekte Komplizin unseres bequemsten Selbst.

Hinzu kommt die Werbung, die genau diese Schwachstelle kennt. Sie zeigt uns Menschen, die lächeln, weil sie irgendeine Kapsel geschluckt haben und nicht, weil sie sich acht Stunden Schlaf gegönnt oder ein Gemüsegericht gekocht haben. Die Botschaft ist subtil, aber konsequent: Gesundheit ist ein Produkt, kein Verhalten.

Dabei wissen wir: Viele der frei verkäuflichen Präparate haben, wenn überhaupt, nur sehr kleine, oft kaum belegte Effekte. Die Evidenzlage am Menschen ist häufig dünn, teils widersprüchlich, manchmal schlicht nicht vorhanden. Trotzdem liegt in unseren Badschränken eine kleine Hausapotheke aus Vitaminen, Mineralstoffen, Pflanzenextrakten und Pulverchen, die frühere Generationen nicht einmal hätten benennen können.

Und nun betritt die Künstliche Intelligenz die Bühne. Nicht als neues Wundermittel, sondern als Spiegel. Eine KI kann uns helfen, Muster zu erkennen: Wie wir schlafen, wie wir essen, wann wir gestresst sind. Sie kann uns erinnern, motivieren, Zusammenhänge sichtbar machen, die wir selbst übersehen. Sie kann helfen zu verstehen, welche Interventionen tatsächlich wirken und welche nur hübsch verpackte Hoffnungen sind.

Was KI aber nicht kann: Uns den Weg abnehmen. Sie ersetzt nicht den Abendspaziergang, nicht das frühe Zubettgehen, nicht das Kochen aus frischen Lebensmitteln. Sie ist ein Werkzeug und kein Ersatz für Verhalten.

Vielleicht liegt ein Teil des Problems auch in unserer neuen Leidenschaft fürs Selbstvermessen. Unsere Handgelenke leuchten, zählen, vibrieren und mahnen uns, mehr Schritte zu machen, besser zu schlafen oder tiefer zu atmen. Diese Wearables liefern beeindruckende Daten, doch manchmal erzeugen sie mehr Druck als Orientierung. Sie suggerieren Präzision, wo in Wahrheit oft nur Schätzwerte stehen, und können uns glauben lassen, Optimierung sei das gleiche wie Gesundheit. Auch hier gilt: Die Technik ist ein Werkzeug – aber die Veränderung entsteht in uns, nicht in der Anzeige auf dem Display.

Möglicherweise ist das die Einladung dieser Zeit: Einmal tief durchatmen, bevor wir das nächste Produkt in den Einkaufswagen legen. Uns kurz fragen, ob wir wirklich eine Pille brauchen oder ob unser Körper etwas viel Einfacheres möchte: eine Pause, Bewegung, nährstoffreiche Lebensmittel, ausreichend Schlaf und einen Moment ohne Druck.

Prävention ist kein Konsumakt. Sie ist eine Haltung. Und KI kann uns helfen, sie wiederzufinden.

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Prof. Dr. Jochen A. Werner
CEO und Co-Founder I 10xD