Die Mondlandung des Gesundheitssystems

Als ich am 14. Juli morgens zur Arbeit fuhr, vernahm ich in den Nachrichten die Meldung, dass Indien am Nachmittag einen unbemannten Rover zum Mond schießen wolle. Diese Nachricht zeigt nicht nur, wie dramatisch sich die Welt in den vergangenen Jahren verändert hat, wie sich Kräfteverhältnisse und Einflusssphären verschoben haben. Ich fühlte mich auch unwillkürlich an die erste Mondlandung erinnert, die ich 1969 noch staunend als Kind miterlebte. 

1961 sagte der damalige amerikanische Präsident John F. Kennedy in einer Rede vor dem Kongress: „Wir haben uns entschieden, noch in diesem Jahrzehnt zum Mond zu fliegen. Nicht weil es leicht ist. Sondern weil es schwer ist“. Als Mediziner und Manager zieht man natürlich auch bei diesem Zitat automatisch Parallelen zum eigenen Betätigungsfeld, dem Krankenhaus und dem Gesundheitswesen. Auch hier ist vieles nicht einfach, sondern unglaublich schwierig, kompliziert und vor allem auch langsam. Wir erleben aber in diesen Wochen nach Jahren und Jahrzehnten des Stillstands und der Agonie erste Zeichen des Aufbruchs und der Veränderung. Die Reformanstrengungen von Minister Lauterbach mit der Krankenhausreform als Start- und Mittelpunkt sind natürlich noch nicht kongruent, in Teilen unausgegoren, ohne strategisches Dach und mit unklarem Ziel. Und selbstredend ist ein Eckpunktepapier noch kein Gesetz, und ein Gesetz garantiert noch keinen Erfolg. 

Aber auch die Mondlandung der Amerikaner geschah ja nicht über Nacht, sondern war das Ergebnis zahlreicher Vorarbeiten und Projekte, begleitet immer wieder von Rückschlägen und Zweifeln. Jede Umgestaltung führt nur über einen Prozess, eine Vielzahl von Schritten, aber auch über Misserfolge und Lernen aus den Erfahrungen zum Ziel. Das ist die große Gemeinsamkeit mit dem Projekt der Mondlandung. Der große Unterschied ist: Präsident Kennedy hatte eben jenes Ziel als große, gemeinsame nationale Aufgabe formuliert und damit eine gewaltige gesellschaftliche Kraft, ein starkes Momentum und große Akzeptanz geschaffen. Das fehlt uns noch in Deutschland, nicht nur im Gesundheitssystem, sondern in der gesamten Gesellschaft. 

Ich bin immer wieder überrascht, um nicht zu sagen manchmal fassungslos, wie wenig Relevanz die geplante Umgestaltung des Gesundheitssystems in der deutschen Medienlandschaft besitzt. Und da spreche ich nicht nur von der Tatsache, dass Gesundheit mit den Fragen von Leben und Tod doch die zentralen Hoffnungen und die Urängste von Menschen berührt. Ich spreche auch davon, dass die Gesundheitsversorgung nach der Rentenversicherung das zweitgrößte Sozialsystem ist und jeden Beschäftigten im Monat rund 15 Prozent seines Einkommens kostet. Man stelle sich vor, in der gesetzlichen Rentenversicherung würden ähnliche Umwälzungen geplant: Die Nachrichten und Talkshows würden kaum ein anderes Thema mehr kennen. Einen Vorgeschmack gab es vor einigen Tagen, als im Mai 2023 ein sozialpolitisches Positionspapier der CDU eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit forderte, um die Rentenkassen zu stabilisieren. Die Wellen der Empörung schlugen hoch, die öffentliche Resonanz war enorm. Ich will diesen Ansatz inhaltlich gar nicht kommentieren. Aber es zeigt für mich ganz klar: Die Rolle der Gesundheit in den Medien, aber auch etwa bei Schule und Ausbildung, ist dramatisch unterentwickelt. Insofern, dies als kleiner Exkurs, sehe ich unsere Aufgabe bei 10xd auch darin, mehr politische und gesellschaftliche Awareness für das Thema als Grundvoraussetzung für Veränderung zu schaffen.

Zurück zu unserem Beispiel: Die dringend notwendige Reform des Gesundheitssystems einschließlich der Digitalisierung kommt einem vor wie die Reise zum Mond: Anspruchsvoll, beinahe unmöglich erscheinend. Mit Rückschlägen behaftet. Von Widerständen begleitet. Aber am Ende des Tages doch ohne Alternative.

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Prof. Dr. Jochen A. Werner
10xD