Nur politische Ehrlichkeit und Kompetenz können unser Land noch retten

Lange überfällig sieht der Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums nun endlich die Nutzung von Gesundheitsdaten zu Forschungszwecken ohne ausdrückliche Einwilligung vor. Mit Bekanntgabe desselben überschlug sich der Bundesgesundheits-minister Prof. Dr. Karl Lauterbach erneut mit Superlativen, wie wir es schon bei seiner „Revolution“ im Krankenhauswesen erlebten, von der inzwischen nur noch das „Re“ übriggeblieben ist. Sollte es mit seinem Namensbestandteil „Lauter“ zu tun haben, dann wäre Leiserbach zielführender gewesen. Es gibt nämlich keinen Anlass dazu, aus diesem Entwurf zu schließen auf eine „Explosion“ von wissenschaftlichen Erkenntnissen oder auf seine Prognose „Wir werden das modernste Digitalsystem in Europa haben“ sowie das „modernste Datengesetz“ samt „supersicherer Verschlüsselung“, „unter höchsten ethischen Standards“. Erinnert ihr Euch noch an den „Traum vom KI-Weltmarktführer“, den die Physikerin Dr. Angela Merkel als Bundeskanzlerin träumte? Dieser ist schneller zerplatzt als man eine Seifenblase hätte pusten können. Mir wird das langsam alles zu viel. Wir bewegen uns in einer Gesellschaft, wo man für die Reiseplanung von Essen nach Berlin mehrere Szenarien durchspielen muss. „Lieber einmal mehr übernachten“ gehört inzwischen in mein festes Planungsreservoir, habe ich als Vielbahnnutzer viel zu oft die Konsequenzen von Verspätungen oder auch Zugausfällen ertragen müssen. 

Gott sei Dank gibt es auch dafür positive Ausblicke. Die immer komplexer werdende Prozessgestaltung der schon länger dysfunktionalen Deutschen Bahn wird, wie in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft auch, von der Künstlichen Intelligenz profitieren. Und damit sind wir bei einem der zentralen Probleme der Digitalisierung in Deutschland angelangt. Digitalisierung kann und wird nicht im Silo Gesundheit oder im Silo Verkehr oder im Silo Bildung oder im Silo Verteidigung entwickelt werden. Wann begreift man endlich, dass es einer verbindlichen, hochqualitativen Digitalstrategie des Bundes bedarf, für einen deutlich längeren Zeitraum als vier Jahre, also über mehrere Legislaturperioden. In eine Strategie mit Blick aufs Ganze, der schon lange verlorengegangen ist. Anders werden wir die überfälligen Schritte nicht erfolgreich gehen können. Genau deshalb hielt ich ein eigenes Digitalministerium für unverzichtbar, in dem die Projekte koordiniert und akzentuiert, hat momentan jedes Bundesministerium seine eigenen Themen im Digitalbereich, die natürlich nicht ausreichend in dem vom Bundesminister Wissing geleiteten Ministerium für Digitales und Verkehr zusammenlaufen. Ich bleibe also dabei, wir brauchen eine verpflichtend zu befolgende langfristige Digitalstrategie, die natürlich nicht an den Grenzen der einzelnen Bundesländer stoppen darf.

Ansonsten erleben wir ein nächstes Scheitern wie beim aktuellen Krankenhausschließungsdebakel, wo den unkalkulierbaren Insolvenzen von Krankenhäusern, der kalten Bereinigung durch die Hintertür, entgegengefiebert wird, damit man dann, ohne sich die Finger schmutzig zu machen, mit den übrigbleibenden Krankenhäusern in die Zukunft planen kann. Das hat viel mit Scheinheiligkeit zu tun, Geradlinigkeit klingt anders. Letztere erkenne ich bei dem NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, der allerdings sein Amt bereits zum dritten Mal bekleidet. Vielleicht braucht es auch solche Erfahrung, und nicht das immer wieder zu beobachtende Zittern um eine mögliche Auswirkung von Entscheidungen auf Wahlergebnisse. Auch das hat Deutschland in die inzwischen unerträgliche Wohlfühlträgheit geführt, wird in unserem Land nahezu ununterbrochen gewählt, in den Kommunen, im Bundesland oder im Bund. Warum orchestriert man die Wahlen nicht besser? 

Dennoch bliebe ein grundsätzliches Problem. Wenn niemand unangenehme Entscheidungen wie beispielsweise die unausweichlichen Krankenhaus-schließungen auch über Wahlen hinweg planen und umsetzen will, dann erhalten die Parteien an den politischen Rändern deutlichen Aufschwung, wie wir es aktuell erleben. Nur dazu reichen eben nicht solche Äußerungen der Etablierten wie „Traum vom KI-Weltmarktführer“ oder die Prognose „Wir werden das modernste Digitalsystem in Europa haben“. Weniger Getöse und mehr Umsetzung wäre der Weg aus der Krise. Einfach ein wenig besser zu werden, vielleicht sogar im Mittelmaß anzukommen, wäre großartig. Die Bürgerinnen und Bürger lassen sich nicht mehr lange mit Parolen und Phrasen der Langzeitregierenden beruhigen. Wenn nicht sofort Ehrlichkeit und Professionalität in die Politik einkehren, dann droht Deutschland ein riesiges Problem. Schon heute quittieren einflussreiche Persönlichkeiten und kluge junge Leute die Entwicklung unseres Landes mit Abwanderung. 

Vorheriger Artikel Nächster Artikel
>> Mit Bekanntgabe desselben überschlug sich der Bundesgesundheits-minister Prof. Dr. Karl Lauterbach erneut mit Superlativen, wie wir es schon bei seiner „Revolution“ im Krankenhauswesen erlebten, von der inzwischen nur noch das „Re“ übriggeblieben ist. Sollte es mit seinem Namensbestandteil „Lauter“ zu tun haben, dann wäre Leiserbach zielführender gewesen. <<
Prof. Dr. Jochen A. Werner
Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender der Universitätsmedizin Essen