KI in der HNO-Heilkunde - quo vadis?

Das Thema ist hochaktuell und wird besonders in seiner Dimension der künstlichen Empathie kontrovers diskutiert – zu Recht - dabei geht es nicht um ein „ob“ (diese Entwicklungen sind längst in vollem Gange), sondern um ein 1. Umschiffen von Gefahren und 2. optimales Nutzen der Potentiale.

Punkt 1 möchte ich nur streifen, aber ich erinnere den Satz von Y. N. Harari : “…was den Umgang mit KI für uns so gefährlich macht ist, dass wir in einem neuartigen Fahrzeug mit schnell zunehmender Geschwindigkeit sitzen, ohne zu wissen wie wir es lenken und wo wir das Bremspedal finden.“

Punkt 2 wäre von riesigem Vorteil, könnten uns KI-Modelle beim Management chronischer und damit teurer Krankheiten helfen. Und teuer meint: richtig teuer! Ganz konkret und aus meiner Praxis gesprochen: In Deutschland finden ca. 3 Mio. Betroffene mit chronischen Ohrgeräuschen (Tinnitus) eine eklatante Versorgungslücke im Gesundheitssystem vor – die Folge – ein jährliches Kostenpaket für die Solidargemeinschaft von 21 Mrd. €!

Es kostengünstiger zu machen, hieße es besser zu machen und wenn KI-Modelle dabei helfen sollen, stellt sich die Frage: Wobei sollen sie uns denn helfen? Womit wollen wir die KI füttern?

Dazu hier ein kurzer Exkurs in die drei Dimensionen ärztlichen Handelns:

Wir analysieren die Symptome und Untersuchungsbefunde unserer Patienten und ermitteln daraus eine Krankheit (Diagnostik).

Wir legen die Möglichkeiten der ärztlichen Behandlung dar und gewährleisten deren Durchführung (Therapie).

Wir begleiten emphatisch und mitfühlend diesen Prozess und wünschen uns gemeinsam mit unseren Patienten eine Heilung (Heilkunde).

Hierfür würden wir uns also eine Hilfe von KI-Modellen erwarten und aus der Perspektive unserer Patienten soll daraus letztlich Gesundung (Salutogenese) entstehen. A. Antonovsky beschrieb diese Elemente von Gesundung mit: 1. Verstehbarkeit, 2. Handhabbarkeit und 3. Sinngebung.

Im Sprachgebrauch digitalisierter Medizin sollte KI also 1. die Analyse von Patientensymptomen können und daraus Diagnosen erarbeiten, 2. die sich daraus ableitenden Therapien empathisch kommunizieren helfen und bei deren Durchführung assistieren und 3. vielleicht sogar die komplexen seelischen Prozesse des Heilungsvorgangs helfend begleiten, indem innere Konflikte, Ängste und Wünsche in einer Interaktion adressiert werden.

Wie weit sind wir heute also in den drei Dimensionen unseres Tuns und der KI?

Analyse/Diagnose: „Mission accomplished“ könnte man sagen – mit Modellen, wie sie z. B. in einer mobilen App wie ADA Health stecken, gelingt Symptomanalyse schon heute selbst bei multikausalen Symptomen wie den Ohrgeräuschen mit komplexen Grunderkrankungen hervorragend gut.

Kommunikation/Therapie: J. Werner und D. Matusiewicz skizzieren in ihrem Buch: Künstliche Empathie bereits bis ins Detail wie die Interaktion der Patienten mit KI Modellen aussehen kann, wenn nicht nur die Erklärung von Therapien auf kognitiver Ebene, sondern auch die seelische Dimension einer Therapieentscheidung und deren Ambivalenzen mittels KI wahrgenommen und in einen Dialog geführt werden können – ÄrztInnen bräuchten nurmehr entspannt und verständnisvoll zum Abschlussgespräch zu erscheinen, die Knochenarbeit wäre bereits gemacht.

Begleitung von Heilung: Hier scheint sich allerdings ein offenes Feld mit viel Diskussionsbedarf zu eröffnen – für mich die wichtigsten: Reicht (künstliche) Empathie oder braucht es menschliches Mitgefühl? Was genau geschieht eigentlich, wenn wir Menschen heilen? Können wir selbst den Heilungsvorgang in uns in Algorithmen zerlegen, die eine KI zu unterstützen in der Lage wäre?

Noch einmal und zusammenfassend zum Problem von über 3 Mio. Tinnitusbetroffenen in Deutschland und der KI in der HNO-Heilkunde zurückkommend möchte ich den Standpunkt einnehmen: KI Modelle besitzen gigantische Verbesserungspotentiale, sie alleine werden aber unsere Medizin noch nicht besser machen – vielmehr aktualisiert ihre Implementierung in den medizinischen Alltag die Frage: Welche Medizin wollen wir in Zukunft ausüben, welche wollen wir an uns ausgeübt sehen?

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Michael Golenhofen