Künstliche Empathie in der Zahnmedizin: Wenn der Zahnarzt Algorithmus-gesteuert mitfühlt

Ein Zahnarztbesuch ist für viele Menschen nicht unbedingt ein erfreuliches Ereignis. Die Geräusche des Bohrers, der sterile Geruch, das ungewisse Ziehen und Drücken – es ist eine Erfahrung, die selten als angenehm beschrieben wird. Doch was wäre, wenn der Zahnarzt nicht nur handwerklich geschickt, sondern auch stets perfekt einfühlsam wäre? Willkommen in der Welt der künstlichen Empathie.

Die künstliche Intelligenz (KI) macht große Fortschritte, insbesondere in der Medizin. Systeme, die Diagnosen präzise stellen oder Behandlungspläne optimieren, sind bereits Realität. Doch in der Zahnmedizin geht es nicht nur um Technik, sondern auch um das Wohlbefinden des Patienten. Hier kommt künstliche Empathie ins Spiel: Algorithmen, die Mimik und Körpersprache deuten, Stresslevel analysieren und daraufhin beruhigende Maßnahmen vorschlagen – oder sogar eigenständig kommunizieren.

Stellen Sie sich vor, ein Patient betritt die Zahnarztpraxis und eine KI-gesteuerte Kamera analysiert sein Gesicht. Sie erkennt Anspannung und leitet eine sanfte, beruhigende Stimme aus den Lautsprechern ein: „Wir sehen, dass Sie etwas nervös sind. Keine Sorge, Ihr Zahnarzt wird Sie heute besonders behutsam behandeln.“ Während der Behandlung registrieren Sensoren die Muskelspannung oder den Puls und geben dem Zahnarzt diskrete Hinweise, falls eine Pause nötig sein könnte. Eine smarte Software kann zudem alternative Formulierungen vorschlagen, um Patienten durch die Prozedur zu begleiten, ohne zusätzliche Angst auszulösen.

Zudem kann künstliche Empathie über das bloße Erkennen von Angst hinausgehen. Sie könnte Frustration oder Ungeduld wahrnehmen und durch gezielte Kommunikation entgegenwirken. Während eines Aufklärungsgesprächs könnte eine KI erkennen, wenn ein Patient unsicher oder überfordert ist, und dem Zahnarzt vorschlagen, seine Erklärungen zu vereinfachen oder zu verlangsamen. Sogar während der Behandlung könnte eine empathische, KI-gestützte Stimme beruhigend auf Patienten einwirken, indem sie etwa sanft dazu ermuntert, tief durchzuatmen. Besonders bei Kindern könnte eine interaktive, spielerische Ansprache durch einen Avatar oder einen Roboter helfen, Ängste abzubauen und eine positive Erfahrung zu schaffen.

Auch in der Nachsorge könnte künstliche Empathie eine Rolle spielen. Eine smarte App, die nicht nur an Pflegehinweise erinnert, sondern auch erkennt, ob ein Patient besorgt oder verunsichert ist, könnte empathische Rückmeldungen geben und bei Bedarf direkt einen Kontakt zur Praxis herstellen. So würde die Betreuung nicht nur technisch effizienter, sondern auch menschlicher erscheinen – selbst wenn sie von Algorithmen gesteuert wird.

Solche Szenarien mögen futuristisch klingen, doch sie sind keineswegs Science-Fiction. Sprachassistenzsysteme mit emotionalem Feedback gibt es bereits in anderen Branchen, und in der Zahnmedizin läuft die Entwicklung dahingehend insbesondere Angstpatienten helfen.

Doch es bleibt eine ethische Frage: Wollen wir wirklich, dass Maschinen unsere Gefühle „lesen“? Ist eine KI, die Empathie simuliert, ein Gewinn oder nur ein gut programmierter Trost? Sollte am Ende nicht doch der Mensch von Menschen wahrgenommen, geführt und empathisch begleitet werden?

Ich persönlich bin der Überzeugung, dass künstliche Empathie die Zahnmedizin verändern wird. Und dennoch werden wir Zahnärzte, die ehrlich und menschlich mitfühlen, nicht zu ersetzen sein. Diese Verantwortung werden wir in keinem Fall delegieren können und dürfen.

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Dr. Siegfried Marquardt
Spezialist für Ästhetik und Funktion in der Zahnmedizin (DGÄZ), Spezialist für Implantologie (BDIZ-EDI, EDA), Spezialist für Sportzahnmedizin (DGSZM)