
Wie kommt man auf die Idee, als Proktologe zu arbeiten?
Das fragen mich Patienten regelmäßig. Und die Frage ist absolut berechtigt, schließlich habe ich noch niemanden getroffen, der Medizin studiert hat mit dem Ziel, sich als Proktologe niederzulassen. Die Proktologie wird als eher wenig glamourös wahrgenommen. Es gibt keine ZDF-Vorabendserie über einen Proktologen; Dr. Strange von den Avengers ist Neurochirurg, einen Proktologen sucht man unter den Superhelden vergeblich, nicht mal in Emergency Room oder bei Grey’s Anatomy taucht einer auf. Hollywood-Stars zeigen sich auf dem Roten Teppich mit Ihrem Schönheitschirurgen, aber nicht mit ihrem Proktologen. Unsere Arbeit findet also eher im Verborgenen, um nicht zu sagen im Dunkeln statt. Jeder Proktologe hat mindestens zwei Brüche in seiner Biographie. Die meisten Proktologen haben eine Ausbildung als Chirurg, und Chirurg möchte man werden, weil man coole Operationen machen möchte, mit dem Roboter, am besten KI-gesteuert, oder Herztransplantationen; das fördert ein gesundes chirurgisches Selbstbewußtsein. Aber sicher nicht Operationen an Hämorrhoiden, im Dunkeln, nachdem man mühsam den Stuhl beiseite geräumt hat. Und zweitens wird man Chirurg, weil man gern im OP ist und nicht, weil man gerne wie ein Internist 6 Stunden Visite für 4 Patienten oder Sprechstunde macht. Und in der Praxis macht man viel Sprechstunde.
Wie also kommt man dazu?
Man kommt dazu, weil in jeder Chirurgischen Klinik ein Oberarzt für die Proktologie zuständig ist; der muß mindestens 63 Jahre alt sein und macht einmal die Woche für 2 Stunden Proktologie-Sprechstunde im 2. Untergeschoß der Klinik, gleich neben der Wäschekammer. Jeder ist froh, daß es den gibt, weil er selbst das dann nicht machen muß und geeigneten Patienten elegant einen Termin nächste Woche in der Sprechstunde von Dr. Butthole geben kann. Nur fällt dann dem Chefarzt zwei Wochen vor dem Renteneintritt des Oberarztes auf, daß dann ja die Proktologie nicht mehr besetzt ist, und hier schlägt das Schicksal zu: wenn man dann zu nah am Chef steht oder mit ihm Fahrstuhl fahren muß, kann das Licht der Inspiration des Chefs hell erstrahlen und auf einen fallen, und das Schicksal ist besiegelt.
Nach einer kurzen Trauerphase hört man dann aber auch viel Tröstendes: mein erster Stationsarzt hat mir schon in meinen ersten Tagen als Chirurg gesagt: „Glaub mir, die dankbarsten Patienten hat der Proktologe!“. 30 Jahre später weiß ich: er hatte Recht. Und das Beste: dankbar und zufrieden ist nicht nur der Patient – sondern auch der Proktologe.
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