KI braucht Maschinenräume im EHDS

Deutschland und Europa stehen in einem globalen Wettbewerb um Daten und darauf basierenden Algorithmen sowie Künstlicher Intelligenz (KI). Nachdem die hohe Bedeutung digitaler Plattformen lange verschlafen wurde und Europa immer abhängiger von vor allem US-amerikanischen Plattformanbietern und Anwendungen wurde, konnten im März 2024 endlich konstruktiv erste Ergebnisse der zukünftigen europäischen Datenökonomie im EU-Trilogverfahren konsentiert werden. Der „European Health Data Space (EHDS)“ ist für das Gesundheitswesen die erste domänenspezifische EU-Verordnung, welche die EU-Datenstrategie von 2020 in konkrete Anwendung bringt. Der EHDS wird ab 2026 gültiges Recht in allen 27 Mitgliedsstaaten der EU und stellt damit aktiv europäische Werte wie Bürgerzentrierung und Datensouveränität in den Mittelpunkt. Er bietet somit eine echte Alternative zur bisher ökonomisch dominierten Regimen der USA oder den demokratiefernen Logiken autokratischer Systeme. Die Bedeutung für die KI-Entwicklung und Anwendung ist fundamental. Endlich gibt es die Möglichkeiten, in soge- nannten „sicheren Verarbeitungsumgebungen (sVU)“, gemäß EHDS, Daten rechtssicher aus verschiedenen, bisher isolierten Quellen für verschiedene KI-bezogene und ge- meinwohlorientierte Anwendungsszenarien zu kombinieren. Es entstehen „KI-Maschinenräume“, die die Grundlage und Voraussetzungen vielfältiger KI-Entwicklungs- und Nutzungsszenarien auf Basis qualitätsgesicherter europäischer Daten bieten. Diese reichen von „AI-Gyms“, in denen Algorithmen trainieren und in den Wettbewerb treten, über synthetische Daten und digitale Zwillinge bis zu „AI-Acceleratoren“, in denen auf Basis relevanter und qualitätsgesicherter Daten innovative Lösungen in Zusammenarbeit von Wissenschaft, Unternehmen, Startups und Kapital entwickelt werden können. Der EHDS ist technologie-agnostisch, somit nur ein Rahmenwerk rechtlicher, institutioneller und organisatorischer Regeln. Bereits jetzt stehen aber Techstacks zur Verfügung, die die Realisierung EHDS-konformer „sicherer Verarbeitungsumgebungen“ und damit auch von KI-Maschinenräumen ermöglichen. Zum Beispiel das BMWK-Leuchtturmprojekt Health-X dataLOFT (https://www.health-x.org). Basierend auf den europäischen Gaia-X Konzepten, bildet die Data Wallet App ein zentrales Kernelement des Techstacks. Entsprechend der europäischen Werte – hier vor allem Bürgerzentrierung, Transparenz und Datensouveränität – erhält jede Bürgerin mit der Data Wallet App ein Dashboard über ihre (Gesundheits-) Daten und kann souveräne Entscheidungen treffen, wer, welche Daten für welchen Zweck rechtssicher nutzen darf. Gleichzeitig können über die Data Wallet App Anreize für die Bürgerinnen geboten werden. Diese reichen von einem Digitaleinkommen, als Vergütung zum Beispiel für die Freigabe zur Datennutzung oder Zustimmung zur Studienteilnahme, bis zu Rückkopplungen qualitätsgesicherter Informationen, zum Beispiel zu den Ergebnissen vorheriger Datenspenden.Gemäß des EHDS wird es eine Ordnungswidrigkeit, wenn Akteure sich weigern, bzw. technisch und organisatorisch nicht in der Lage sind, patientenbezogene Gesundheitsdaten jederzeit auf Verlangen der Bürgerinnen digital, in maschinenlesbarer und interoperabler Form zur Verfügung zu stellen. Damit können bürger- und patientenzentrierte KI-Maschinen- räume als EHDS-konforme sVU realisiert werden. Diese Möglichkeiten stehen dabei auch Akteuren zur Verfügung, die auf den ersten Blick vielleicht überraschen. So nutzen erste Patienten-Communities die Digitalisierung um sich zu professionalisieren und durch digitale Innovationen den Patienten wirklich in den Mittelpunkt zu stellen. Warum nicht Maschinenräume als sVU durch z.B. die Fachexpertise von chronisch Erkrankten, wie Diabetes Mellitus Typ I oder Hämophilie, realisieren, die ein AI-Gym mit dem Zugang zur Mitarbeit und Rückkopplung interessierter Community-Mitglieder bei der Entwicklung in- novativer Lösungen kombinieren? Oder die transparente Entwicklung von synthetischen Daten oder digitalen Zwillingen aus der Community-Kohorte, die dann an der Nutzung beteiligt wird? Dies wären wahrhaft patientenzentrierte KI-Innovationen aus Europa, die jetzt durch den EHDS möglich werden.

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Univ.-Prof. Dr. Martin Gersch