Wir müssen reden: Demenz darf kein Tabu mehr sein
Die Belastung ist groß, die Grenze des Möglichen irgendwann erreicht: Die Diagnose Demenz ist niederschmetternd. Und sie ändert nicht nur das Leben des Erkrankten. Auch Angehörige stehen vor großen Herausforderungen. Während die Versorgungsstrukturen in Deutschland stark auf den Erkrankten ausgerichtet sind, bleibt die Not der Angehörigen oft ungehört und ungesehen. Eine Demenz wird tabuisiert. Das muss sich ändern. 1,8 Millionen Menschen in Deutschland haben Demenz. Bis 2030 soll es bis zu drei Millionen Menschen mit Demenz geben. Dahinter stehen mindestens dreimal so viele Angehörige, die das tragen müssen. Immerhin werden ca. 75 Prozent aller Erkrankten zuhause gepflegt. Die Folgen für die pflegenden Angehörigen sind immens: Überlastung, Überforderung, Zerrissenheit, Vernachlässigung eigener Interessen und Bedürfnisse, soziale Vereinsamung und Krankheit. Angehörige sind diejenigen, die alles halten müssen. Dabei geht Demenz uns alle an und ist keine Privatangelegenheit. Allein schon, wenn wir an das Thema Pflegenotstand denken.
Das Leid der Angehörigen
Wie groß das Leid sein kann, wurde mir im Rahmen meines ehrenamtlichen Engagements bei der Malteser Tagesstätte für Demenzerkrankte zum ersten Mal bewusst. Ich begleitete vier Paare bei einem Urlaub in Südtirol und es wurde so deutlich, mit welchen Belastungen Angehörige tagaus, tagein zu tun haben. Ich habe ihre Verzweiflung und Überforderung gesehen. Das ging mir sehr ans Herz. Ein Initialmoment. 2017 gründete ich den gemeinnützigen Verein Desideria Care. Seitdem unterstütze und stärke ich zusammen mit meinem Team bundesweit Angehörige von Menschen mit Demenz. Hier brauchen wir noch viel mehr Mitstreiter z.B. aus der Pharmaindustrie und der Medizinbranche, die unsere Arbeit unterstützen. Bei einer Demenz in der Familie verändern sich Rollen und Aufgaben. Kompetenzen, die bei dem Menschen mit Demenz nach und nach verlorengehen, müssen bei den pflegenden Angehörigen aufgebaut werden, damit der Tagesablauf auch weiterhin funktioniert. Das ist wahnsinnig anstrengend. Viele sind mit dieser belastenden Situation überfordert, schämen sich auch, denken, dass sie alles allein bewältigen müssen. Dabei ist es gerade in dieser Situation so wichtig, sich Hilfe zu holen. Das ist keine Schwäche, sondern eine große Stärke und befähigt Angehörige, aktiv die Situation zu gestalten, eigene Bedürfnisse und Grenzen anzuerkennen und für sich Perspektiven zu öffnen. De- menz ist nicht nur Drama. Es gibt auch schöne Momente. Erkennt man sie, kann daraus eine Kraftquelle entstehen.
Unsere Mission
Mit unseren individuellen Coachings und Gruppenangeboten ermutigen und befähigen wir Menschen, die Situation selbst in die Hand zu nehmen und zu gestalten. Dabei sind Wissen und Austausch mit anderen pflegenden Angehörigen die tragenden Säulen. Im Englischen gibt es das schöne Wort „Empowerment“, das es eigentlich ganz gut trifft. Unsere Role-Models sind das beste Beispiel. Offen sprechen sie in Mutmach-Geschichten über ihre Situation und holen das Thema Demenz aus der Tabuzone.
Zeit zum Umdenken
Denn genau darum geht’s: Demenz darf kein Tabu mehr sein. Ich wünsche mir, dass Demenz einen Platz in der Mitte unserer Gesellschaft findet. Wir alle tragen dazu bei, dass das Thema immer noch stigmatisiert wird und unterschätzen, wie tiefgreifend eine solche Erkrankung in eine Familie, ja sogar in unsere Gesellschaft hineinwirkt. Die pflegenden Angehörigen sind die zentrale Stütze im Gesundheitssystem. Deshalb sind wir alle gefordert, dazu beizutragen, Angehörige in ihrer Pflegesituation zu stärken. Wir brauchen eine Caring Society, in der das Thema Demenz nicht als Schreckgespenst, sondern als Teil des Älterwerdens gelebt wird. Das ist unser Ziel, das wir mit unserer Arbeit und dank weiterer finanzieller Unterstützung durch Unternehmensspenden anstreben. Gelingt es uns, Demenz neu zu sehen und offen darüber zu sprechen, haben wir gemeinsam viel erreicht und tragen so entschieden dazu bei, dass Veränderung möglich ist und Lebensqualität für Angehörige entsteht.
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