Digitalisierung als Schlüssel zu einem System, das Gesundheit belohnt

Das deutsche Gesundheitssystem ist darauf ausgerichtet, Krankheit finanziell zu belohnen. Kaum jemand hat einen wirtschaftlichen Vorteil, wenn Patient:innen schneller gesund werden oder gesund bleiben. Mit Value Based Healthcare soll sich das ändern. Nötig dafür sind Daten aus dem medizinischen Alltag, und genau hier steckt das gewaltige Potenzial der Digitalisierung des Gesundheitswesens.

“Is curing diseases a sustainable business model?”, fragte die Investmentbank Goldman Sachs 2018 in einem Bericht. Die Analysten hatten sich extrem wirksame Therapien angeschaut, darunter den Hepatitis C-Wirkstoff Sofosbuvir von Gilead Sciences. Er heilt 90 Prozent der Patienten von der Infektion, ein gigantischer Erfolg - nur eben einer, der den Umsatz mit dem Wirkstoff schrumpfen ließ, weil immer weniger Menschen ihn nötig hatten. Lag er 2015 noch bei 12,5 Milliarden Dollar, waren es 2021 nur noch 212 Millionen Dollar. Mit der provokanten Frage brachte Goldman Sachs das Grundproblem der heutigen Gesundheitssysteme auf den Punkt: Wer Geld mit Krankheiten verdient, hat zwar ein ethisches Interesse daran, dass Menschen gesund werden - aber eben kein wirtschaftliches. Die Folgen sind finanzielle Fehlanreize für die Therapie und Patienten, die länger krank sind als notwendig. Das missfällt vielen Beteiligten seit Langem. Daher gewinnt ein Ansatz an Bedeutung, der dieses Grundproblem der Medizin lösen kann: Value Based Healthcare. Den Begriff prägte 2006 der Harvard-Professor Michael Porter in seinem Buch “Redefining Healthcare”. Mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens rückt er erstmals in den Bereich des Machbaren.

Hinter Value Based Healthcare steckt die Idee zu belohnen, dass Menschen gesund werden – und nicht, dass sie krank bleiben. Wenn es gelingt, die Vergütung großflächig daran zu orientieren, entsteht ein fruchtbarer Nährboden für neue Geschäftsmodelle, eine bessere Patientenversorgung - und ein anderes Gesundheits-system. Die Zusammenhänge lassen sich gut am Beispiel der Fallpauschalen erläutern. Sie sollten Krankenhäusern einen Anreiz geben, Menschen möglichst rasch wieder gesund zu bekommen.

Schließlich bekamen Kliniken nur eine bestimmte Verweildauer vergütet, abhängig von der Art der Erkrankung. Doch die Methode hatte eine entscheidende Lücke: Die Behandlungsqualität wurde nie ernsthaft ermittelt, weil es weder handhabbare Werkzeuge dafür gab noch den politischen Willen. Es passierte, was passieren musste. Statt zufriedener Patienten und einer steigenden Qualität in den Kliniken machte die vorschnelle, blutige Entlassung Schlagzeilen.

Dringend nötig ist daher ein Plan, wie sich patientenrelevante Resultate sinnvoll messen lassen. Entscheidend dafür ist ein digitales Abbild der gesamten Krankheitshistorie, und die elektronische Patientenakte ist der aktuell wichtigste Schritt in diese Richtung. Nur wenn wir Informationen anonymisiert zusammenführen, kommen wir weg von der Betrachtung und Vergütung einzelner Medikamente oder Operationen, und hin zu einer Bewertung ganzer Behandlungspfade. Wir weiten die großartigen Errungenschaften der evidenzbasierten Medizin von einer einzelnen Behandlung auf die gesamte Patient Journey aus.

Welches Potenzial dieser Weg bietet, zeigt Schweden: Das Land begann 2012 mit der Einführung der elektronischen Patientenakte, das e-Rezept ist überall verfügbar, Value Based Healthcare als Vergütungsmodell präsent. Das Ergebnis ist beeindruckend: In keinem anderen Land Europas – mit Ausnahme von Malta – haben die Bewohner mehr gesunde Jahre vor sich, wenn sie geboren werden, so der OECD-Report “Health At a Glance: Europe 2020”. Deutschland hingegen liegt fünf Prozentpunkte dahinter. Und das mit mehr Arztbesuchen pro Kopf (etwa zehn pro Jahr) und mehr Krankenhausaufenthalten (rund 260 Entlassungen pro 1.000 Einwohner) als jedes andere Land in Europa. Wenn Deutsche in Kontakt mit ihrem Gesundheitssystem kommen, kommen sie augenscheinlich nicht so schnell wieder davon los. Wir sollten die Chance nutzen, das zu ändern.

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Robert Thielicke