Zeit der Entscheidung

Transparenzgesetz, Krankenhausreformgesetz, Start des Online-Atlas für Kliniken - bis zum Mai folgen jetzt entscheidende Tage in der Gesundheitspolitik, gewissermaßen die Crunchtime für ein zukunftsfestes Gesundheitssystem. Viel, eigentlich zu viel ist liegengeblieben in den vergangenen Jahren, man muss schon fast sagen Jahrzehnten - ein langer Zeitraum des Stillstands und der Agonie, der die Gesundheitsversorgung in Deutschland in manchen Bereichen an den Rand der Dysfunktionalität geführt hat.

Ich gebe zu, ich hätte noch vor einigen Wochen derart konkrete Impulse zur Modernisierung ausgerechnet in der erstarrten, in Besitzstandswahrung gefangenen Gesundheitspolitik für unmöglich gehalten. Leider geht die wahrlich historische Abfolge von durchgreifenden Gesetzesinitiativen in der aktuellen, unsäglichen Cannabis-Debatte unter, genauso wie die begrüßenswerten Digitalisierungsinitiativen von Jens Spahn seinerzeit von Corona überlagert wurden. Daher sage ich an dieser Stelle: Meinen Respekt an Gesundheitsminister Karl Lauterbach, dass er insbesondere bei der verfahrenen Krankenhausreform – wenn auch mit unnötiger Verzögerung – nun tatsächlich die Länder mit ins Boot geholt hat. Trotz mancher Unzulänglichkeiten, die es bei derart komplexen Gesetzesvorhaben und dem Zwang zu Kompromissen immer gibt, ist die Krankenhausreform dennoch ein gutes Gesetz, weil sie nicht nur Finanzierungsprobleme löst, sondern vor allem ein zentrales Manko im Gesundheitswesen angeht: Der Patient muss ins richtige Bett. Zum Grund- und Regelversorger bei Routine-Eingriffen und leichten Erkrankungen, in Spezialkliniken und Maximalversorger bei komplexen Operationen oder Eingriffen. Die dafür notwendige Transparenz für die richtige Entscheidung wird nun hergestellt.

Nur eines darf jetzt nicht passieren: Sich nach vollbrachter Leistung reflexartig und selbstzufrieden zurückzulehnen. Denn machen wir uns nichts vor: Alle hoffentlich demnächst in die Praxis überführten Gesetzesvorhaben sind zwar wichtig, hecheln aber den gewaltigen Herausforderungen nach wie vor hinterher. Der Handlungsdruck ist enorm, und insbesondere die wirklich dramatischen Auswirkungen des demographischen Wandels sind noch gar nicht adressiert. Allein im letzten Jahr mussten fast 800 Pflegeeinrichtungen schließen: Wer soll die zunehmende Anzahl alter Menschen demnächst wo versorgen, wenn erst die Babyboomer in Pension gehen?

Diese Frage macht mir große Sorgen. Mehr Geld steht für diese gesellschaftspolitische Aufgabe, die vor allem eine Verantwortung ist, garantiert nicht zur Verfügung. Auch und gerade angesichts der gewaltigen Verschiebungen in der weltpolitischen Tektonik ist ein weiterer Ausbau der Quersubventionierung des Gesundheitswesens - aktuell rund 15 Mrd. Euro pro Jahr - völlig illusorisch.

Daher muss jetzt pragmatisch und vor allem schnell gehandelt werden, die Reformen dürfen nicht auf der Zielgraden scheitern. Denn mit Hinblick auf die Bundestagswahlen im nächsten Jahr wäre klar, dass dann in der Gesundheitspolitik wieder Erstarrung und Apathie Einzug halten würden. Natürlich ist der Weg noch lang und nicht alle Vorhaben perfekt. Aber irgendwann und irgendwo muss man einfach mal anfangen.

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Prof. Dr. Jochen A. Werner