Die Säulen eines langen Lebens: Genetik, Lebensstil und Gesundheitssystem
Ein Interview mit Heinz Lohmann einen angesehenen Experten im Gesundheitswesen und eine wichtige Stimme im Bereich Gesundheitspolitik und Krankenhausmanagement.
Welche Hauptfaktoren tragen Ihrer Meinung nach zur Langlebigkeit bei? Das ist einmal die Genetik, die hat jeder von uns sozusagen im Rucksack, aber das ist zum anderen eben auch der Lebensstil. Wie gehen die Menschen mit ihrem eigenen Körper, mit ihrer eigenen Person um, und da ist vielleicht das Spannende, was wir selbst gestalten können. Da sind Bewegung, Ernährung, natürlich spielt das Rauchen eine besondere Rolle, und die psychischen Faktoren.
Wie wichtig ist die genetische Veranlagung im Vergleich zu Lebensstilfaktoren für ein langes Leben? Das ist die Basis, die wir auch gar nicht beeinflussen können, also nicht in der Genetik selbst und das wollen wir auch gar nicht. Aber ehrlich gesagt, diese Basis ist gestaltbar, sehr stark gestaltbar, und deswegen spielen die Faktoren, die ich gerade genannt habe, was die Lebensweise betrifft, eine ganz wichtige und bedeutende Rolle für den einzelnen Menschen.
Welche Rolle spielt das Gesundheitssystem in Deutschland bei der Förderung der Langlebigkeit? Also natürlich ist es auch so, dass die moderne Medizin zur Langlebigkeit beiträgt, das ist völlig klar. Früher sind die Menschen an der ersten großen Krankheit im Alter gestorben, heute überleben sie die ersten drei und sterben an der vierten Krankheit, weil in der Medizin inzwischen sehr viel möglich ist. Das ist richtig, aber die Basis für die Langlebigkeit ist zum einen, wie gesagt, die Genetik, zum anderen aber auch der Lebensstil. Da kann man sehr viel tun, bevor die erste Krankheit überhaupt auftritt.
Gibt es spezifische Maßnahmen oder Programme, die Sie empfehlen würden, um die Langlebigkeit der Bevölkerung zu unterstützen? Wenn man sich jetzt überlegt, das sind öffentliche Maßnahmen, also Systemmaßnahmen, dann wäre das Allerwichtigste, eine gute Medizin zu leistbaren Preisen zu gestalten. Wenn das Medizinsystem zwar leistungsfähig ist, aber nur für wenige zugänglich ist, dann ist das ein ganz großer gesellschaftlicher Nachteil, den wir an vielen Stellen auf der Welt haben, aber bei uns nicht. Das zu erhalten und auszubauen macht sehr viel Sinn. Deswegen muss man auch nicht immer nur über gute Medizin reden, sondern auch über bezahlbare Preise. Das ist eine Maßnahme und ein Punkt in dem Programm, den ich für ganz wichtig halte. Auch bei den präventiven Maßnahmen sollten die Menschen in den Mittelpunkt gestellt werden, also nicht die Anbieter und deren Sichtweise, sondern die Menschen, die davon betroffen sind, und sich sehr stark mit deren Bedürfnissen, Wünschen und Interessen beschäftigen.
Wie können Präventionsmaßnahmen zur Erhöhung der Langlebigkeit beitragen?Präventionsmaßnahmen sind unterschiedlich. Es gibt primäre Präventionsmaßnahmen, die greifen, bevor eine Erkrankung überhaupt eingetreten ist. Dann gibt es sekundäre und tertiäre Präventionsmaßnahmen, die greifen, wenn eine Erkrankung bereits eingetreten ist. Das alles hat Auswirkungen auf die Langlebigkeit, aber im Vordergrund steht natürlich die lebenslange Prävention. Präventive Maßnahmen sind diejenigen, die in erster Linie die Erkrankung verzögern und hinauszögern und damit einen großen Hebel darstellen. Aber auch wenn die Erkrankung bereits eingetreten ist, kann man sehr viel tun.
Wie kann man ältere Menschen dazu motivieren, gesunde Lebensgewohnheiten beizubehalten oder sogar zu beginnen? Meine Erfahrung ist, dass die Primärprävention, also das, was bei jüngeren Menschen passiert, eigentlich die größere Hürde ist. Wenn die Krankheit schon da ist, sind die Menschen eher bereit, präventiv tätig zu werden, weil sie die negativen Auswirkungen von Krankheiten schon gespürt haben. Aber auch da kann man sehr viel machen und da können vor allem auch die Krankenkassen sehr viel machen, die haben auch ein großes Interesse daran.
Wie könnte man Ihrer Meinung nach die Prinzipien der Gamingindustrie auf die Gesundheitsprävention übertragen? Die Gamingindustrie ist für mich neu, zumindest in meinem Leben. Es geht immer um Spiele, ja, es war klar, dass wir analoge Spiele haben, aber natürlich denken wir heute bei Spielen sehr oft sofort an digitale Spiele. Dann muss man sagen, dass es der Industrie hervorragend gelungen ist und immer wieder gelingt, Menschen dazu zu bringen, sich auch mit Geld zu engagieren, und das sind oft gerade die, die nicht unendlich viel Geld haben. Diese Industrie hat schon sehr gute Mechanismen entwickelt, um die Interessen und Erwartungen der Menschen zu befriedigen und zu treffen. Deswegen glaube ich, macht es sehr viel Sinn, sich einmal mit diesen Mechanismen zu beschäftigen und zu schauen, wie können wir es schaffen, dass wir den Menschen den Zugang zu Präventionsmaßnahmen erleichtern.
Sie erwähnen, dass die Digitalisierung neue Ansätze für präventive Aktivitäten bietet. Welche konkreten digitalen Lösungen sehen Sie als besonders vielversprechend an? In der Primärprävention, wenn noch kein Schaden eingetreten ist, habe ich vorhin schon gesagt, ist ja eine große Hürde. Das wollen ja alle und reden darüber, aber wenn es dann losgeht, ist es schwierig. Deswegen darf die Schwelle nicht zu hoch sein, präventiv tätig zu werden, und es darf nicht dieser Effekt eintreten: morgen – also heute nicht, morgen ist auch noch ein Tag. Das ist eine gefährliche Schwelle und deswegen muss das, was dort angeboten wird, vor allen Dingen Spaß machen und es muss Status vermitteln, also gesellschaftlich richtig genutzt werden. Das spielt ja in der Gamingindustrie eine große Rolle. Wenn man beides erreicht und die richtige Community anspricht, dann glaube ich, sind das ganz zentrale Zugänge für die Prävention, insbesondere für die Primärprävention.
Wie können digitale Technologien dazu beitragen, die Schwellenangst vor präventiven Maßnahmen zu senken? Die Dinge, die in den Alltag integriert sind, sind nebenbei immer viel einfacher, als wenn ich Add-ons mache. Also wenn ich Prävention auf alles draufsetze, was ich schon habe, dann wird es sehr schwierig, zumindest geht es uns so. Deswegen glaube ich, dass es ganz wichtig ist, dass man das integriert. Die digitalen Technologien, die wir mit uns herumtragen, die uns ständig begleiten und unseren Alltag bestimmen, sind natürlich ganz zentral, weil sie uns erinnern, weil sie uns die Chance geben, in Wettbewerbssituationen zu treten, mit anderen in Wettbewerb zu treten, und zwar auf eine einfache Art und Weise, ohne dass man jetzt große Termine organisieren muss und viele Leute zusammenbringen muss. Die sind jetzt schon da.
Was sind die größten Herausforderungen bei der Integration digitaler Präventionsangebote in den Alltag der Menschen? Die größte Herausforderung besteht darin, die Nachfrage zu schaffen. Im Gesundheitswesen entwickelt sich nichts, wenn es niemanden gibt, der es will. Prävention ist kein Selbstläufer. Nachfrage schaffen, das ist die Kunst. Ich glaube, das ist ein ganz zentraler Punkt. In der Primärprävention, davon bin ich überzeugt, ist der Staat ganz wichtig, weil er dort ansetzen muss. Die Korrelation zwischen Aktivität und Gesundheitseffekt liegt weit auseinander. Wenn Kinder im Kindergarten lernen, nicht nur Zähne zu putzen, sondern auch die Zahnzwischenräume zu reinigen, dann haben sie im Alter deutlich weniger Probleme mit dem Gebiss. Das ist ein schwieriges Thema für betriebliche Aktivitäten, also sagen wir mal von Krankenkassen, weil der Krankenkassenboss, der heute etwas finanziert und in 60 Jahren einen Erfolg hat, muss erst noch erfunden werden. Bei der Sekundärprävention ist das anders. Wenn ein Herzinfarkt schon passiert ist und bestimmte Dinge verhindern, dass ein zweiter Herzinfarkt oder eine weitere Erkrankung dazukommt, dann ist das ein großes Interesse der Krankenkassen. Deshalb kann man die Sekundär- und Tertiärprävention erst recht zur Aufgabe der Krankenkassen machen. Aber bei einer so langfristigen Primärprävention, die schon in der Kindheit anfängt und erst im Alter Erfolg hat, macht es sehr viel Sinn, dass der Staat sich da auch stark einbringt und Nachfrage schafft, also mitfinanziert.
Sie sprechen davon, dass unser Gesundheitssystem weitgehend ein Krankheitssystem ist. Wie könnte ein Wandel hin zu einem präventionsorientierten System aussehen? Das ist gewachsen aus der Tatsache, dass im 19. Jahrhundert das Gesundheitswesen professionalisiert wurde. Es gab schon immer professionelle Angebote, aber nur für wenige. Im 19. Jahrhundert wurde aber auch das Sozialsystem integriert, das ja darauf ausgerichtet war, die Folgen von Krankheit für die Menschen so gering wie möglich zu halten, indem zunächst der Lohnausfall über die Krankenversicherung kompensiert wurde. Erst im 20. Jahrhundert kam es zu einer aktiven Finanzierung des Gesundheitssystems. Daraus ist das Gesundheitssystem entstanden, und das war krankheitsorientiert, weil es ein Problem für die Menschen war. Das komplett umzukrempeln, halte ich für illusorisch und das wäre letztlich auch ein Fehler, weil natürlich das, was wir Krankheitssystem nennen, die Behandlung von Krankheiten, auch dazu beiträgt, Langlebigkeit zu fördern und Menschen bei schweren Erkrankungen zu schützen. Aber wenn wir es schaffen, Prävention stark in den Alltag zu integrieren, dann können wir auch die Aktivitäten, die wir heute machen, die heute auch Geld kosten, nutzen, um damit präventive Effekte zu erzielen. Deswegen ist der Schlüssel, Prävention nicht als etwas Add-on zu organisieren, sondern als integralen Bestandteil des Lebens zu organisieren.
Wie kann die Politik Ihrer Meinung nach dazu beitragen, Präventionsmaßnahmen nicht nur in Sonntagsreden zu erwähnen, sondern tatsächlich umzusetzen und zu unterstützen? Das passiert ja bereits, aber es passiert nicht im vollen Umfang, den wir uns wünschen. Man muss vielleicht auch mal die Kirche im Dorf lassen. Was wir geschafft haben in den letzten 20, 30 Jahren ist, den öffentlichen Gesundheitsdienst in eine positive Institution zu verwandeln. Früher kam Gesundheitsamt eher als einschränkend, strafend daher. Heute bietet es zudem Hilfe und Unterstützung. Das ist eine große Veränderung, die ist auch gut, weil sie eben zeigt, dass die Menschen eine andere Haltung zum Gesundheitswesen haben. Wenn wir es jetzt schaffen, die Aktivitäten des Gesundheitswesens so zu gestalten, dass sie präventive Effekte erzielen, dass sie den Menschen motivieren und ihnen Angebote machen, dann glaube ich, haben wir das Wichtigste erreicht. Und dann muss die Politik den Mut haben, das auch zu unterstützen. Ganz viele Politiker sind der Meinung, dass Prävention wichtig ist. Wenn man sich die Programme der Parteien anschaut, das steht in jedem Programm. Aber die Priorisierung ist noch nicht da. Prävention muss mehr Priorität haben.
Sie haben eine interessante Anekdote über das Rauchen im Gesundheitsbereich erzählt. Wie hat sich Ihre Sicht auf Prävention und Gesundheitsförderung im Laufe Ihrer Karriere verändert? Früher, als noch fast überall geraucht werden durfte, bin ich oft gefragt worden, ob das speziell bei mir im Gesundheitsbereich in meinem Büro auch erlaubt sei. Ich habe dann immer gesagt, natürlich, wir leben hier alle von der Krankheit. Übrigens haben etliche Besucher anschließend lieber von sich aus verzichtet zu rauchen. Heute ist das überhaupt kein Thema mehr. Die Einstellung zum Rauchen hat sich fatal geändert. Wir sind gesundheitsbewusster geworden. Ich auch.
Was halten Sie von der Idee, präventive Gesundheitsmaßnahmen in alltägliche Routinen zu integrieren, wie zum Beispiel das Treppensteigen? Kleinere Verhaltensänderungen, die einfach in den Alltag integriert werden können, haben einen großen positiven Effekt. Das Treppensteigen anstelle des Aufzugs ist ein gutes Beispiel dafür. Es sind diese kleinen, täglichen Entscheidungen, die sich langfristig summieren und einen großen Unterschied machen können.
Welche technologischen oder medizinischen Fortschritte sehen Sie als besonders vielversprechend für die Verlängerung der Lebensspanne? Im Bereich der Physiotherapie gibt es großes Potenzial für digitale Lösungen. Diese können Menschen motivieren, ihr Verhalten zu ändern und gesundheitsfördernde Aktivitäten durchzuführen. Auch Fortschritte in der personalisierten Medizin, die individuelle Therapien anbieten, die nebenwirkungsärmer sind, sind vielversprechend.
Wie sehen Sie die Rolle des Smartphones, insbesondere durch Apps zur Aktivitätsmessung? Aktivitätsmessungen durch Smartphones sind sehr positiv. Sie helfen den Menschen, sich ihrer täglichen Aktivitäten bewusst zu werden und motivieren sie, sich mehr zu bewegen. Es ist wichtig, dass solche Technologien einfach zu nutzen sind und die Menschen motivieren, ohne sie zu überfordern.
Glauben Sie, dass personalisierte Medizin und genetische Therapien eine bedeutende Rolle in der Langlebigkeitsforschung spielen werden?
Ja, personalisierte Medizin kann die Langlebigkeit verbessern, indem sie individuelle Therapien anbietet, die besser auf den einzelnen Patienten abgestimmt sind und weniger Nebenwirkungen haben. Genetische Therapien haben ebenfalls großes Potenzial, insbesondere wenn sie dazu beitragen können, genetische Prädispositionen für bestimmte Krankheiten zu behandeln oder zu verhindern.
Was hat Sie persönlich dazu inspiriert, sich mit dem Thema Langlebigkeit zu beschäftigen? Mit zunehmendem Alter wächst das Interesse an Gesundheit. Früher waren Gesundheitsthemen weniger präsent, heute steht Prävention im Vordergrund. Es ist wichtig, präventive Aktivitäten zu fördern, um ein langes und gesundes Leben zu ermöglichen.
Wie sehen Sie die Zukunft der Langlebigkeitsforschung in den nächsten 10 Jahren? Die Forschung sollte sich darauf konzentrieren, Menschen zu aktivieren und ihnen zu helfen, ein gesundes und aktives Leben zu führen. Prävention und personalisierte Medizin werden eine große Rolle spielen. Es wird wichtig sein, innovative Ansätze zu entwickeln, die Menschen motivieren und ihnen helfen, gesunde Entscheidungen zu treffen.
Was sind Ihre persönlichen Tipps für ein langes und gesundes Leben? Bewegung, Ernährung, Verzicht auf Rauchen und eine stabile Psyche sind entscheidend. Wichtig ist, aktiv zu bleiben und kleine, aber nachhaltige Veränderungen im Lebensstil zu integrieren. Regelmäßige Bewegung, eine ausgewogene Ernährung und ein gesunder Lebensstil können einen großen Unterschied machen.
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