Prävention im Gesundheitswesen – eine juristische Pflichtaufgabe

Von Jahr zu Jahr steigen die Kosten im Gesundheitswesen – während chronische Erkrankungen und psychische Belastungen zunehmen, die Ressourcen knapper werden und der Fachkräftemangel wächst. Die Rufe nach mehr Effizienz, besserer Steuerung und nachhaltiger Versorgung werden lauter. Eine naheliegende Lösung liegt auf der Hand: Prävention. Doch so naheliegend sie klingt, so unterschätzt ist sie im gesundheitspolitischen und juristischen Alltag nach wie vor.

Dabei ist Prävention im deutschen Recht keine bloße Option, sondern klar gesetzlich verankert. § 20 SGB V verpflichtet die gesetzlichen Krankenkassen dazu, Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention anzubieten – und zwar nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch in Lebenswelten wie Kita, Schule, Betrieb und Pflegeeinrichtung. Mit dem Präventionsgesetz (PrävG) von 2015 wurde diese Verantwortung nochmals geschärft. Ziel ist eine systematische, qualitätsgesicherte und zielgruppenspezifische Präventionsstrategie – begleitet von der Nationalen Präventionskonferenz gemäß § 20d SGB V.

Juristisch wirft die Präventionsverantwortung gleich mehrere Fragen auf: Wie verbindlich ist der gesetzliche Auftrag? Reicht eine formale Erfüllung der Fördertöpfe oder ist eine strategische Wirksamkeit zu prüfen? Müssen Leistungsträger aktiv nach Präventionspotenzialen suchen – und haften sie womöglich für unterlassene Vorsorge, wenn spätere Schäden hätten vermieden werden können?

Auch auf Seiten der Versicherten und Institutionen sind Mitwirkungspflichten zu hinterfragen: Welche Verantwortung tragen Arbeitgeber, wenn sie keine gesundheitsförderlichen Strukturen schaffen? Welche Rolle spielt die Kommune im Rahmen der kommunalen Gesundheitsförderung? Und wie werden Qualität und Erfolg der Maßnahmen rechtsstaatlich kontrolliert?

Bisher steht die Prävention häufig im Schatten der Akutversorgung – auch juristisch. Dabei ist sie elementarer Bestandteil eines zukunftsfähigen Gesundheitssystems. Prävention schützt nicht nur individuelle Gesundheit, sondern auch soziale Teilhabe, Arbeitsfähigkeit und letztlich den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Was fehlt, ist die konsequente Einforderung der rechtlichen Vorgaben: durch Behörden, Gerichte – aber auch durch mündige Versicherte, die wissen, dass ihnen mehr zusteht als eine Reaktion im Krankheitsfall. Prävention ist keine freiwillige Kür – sie ist Pflicht. Es ist Zeit, sie auch juristisch so zu behandeln: Weg von kurativer Behandlung, hin zu präventiver Medizin!

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Prof. Dr. Alexandra Jorzig
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