
Zwischen Potenzial und Realität
Die älteste Frau der Welt, Jeanne Calment, wurde 122 Jahre alt: rund 40 Jahre älter als der Durchnitttsdeutsche. In Deutschland liegt die Lebenserwartung bei 81,2 Jahren und damit sogar unter dem EU-Durchschnitt. Dabei gibt Deutschland pro Kopf viel Geld für Gesundheit aus, doch der Return bleibt aus. Andere Länder mit vergleichbaren Ausgaben, etwa Spanien, Italien oder Frankreich, schneiden in der Lebenserwartung deutlich besser ab.
Der Preis ungesunder Gewohnheiten
Alle Gesundheitsausgaben helfen wenig, wenn wir durch unseren Lebensstil aktiv Lebenszeit verlieren. Laut einer Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums (2017) können ungesunde Lebensstilfaktoren Männer im Durchschnitt bis zu 23 Lebensjahre kosten. Statt über maximale Langlebigkeit zu sprechen, sollten wir uns also fragen: Wie verhindern wir, dass Menschen nicht einmal die 80 erreichen?
Die Studie zeigt, wie stark einzelne Faktoren die Lebenserwartung beeinflussen: Der größte Risikofaktor ist nach wie vor das Rauchen. Männer, die täglich mehr als zehn Zigaretten rauchen, verlieren im Schnitt 9,4 Jahre, Frauen 7,3 Jahre. Starkes Übergewicht (BMI über 30) kostet bei beiden Geschlechtern etwa drei Jahre. Auch regelmäßiger Alkoholkonsum hat Folgen: Männer, die täglich mehr als vier Getränke konsumieren, verlieren 3,1 Jahre, Frauen etwa ein Jahr. Der tägliche Verzehr von mehr als 120 Gramm Wurst oder verarbeitetem Fleisch verkürzt die Lebenserwartung von Männern um 1,4 und von Frauen um 2,4 Jahre. Selbst zu wenig Obst und Gemüse (unter 200 Gramm täglich) schlägt mit 1,3 Jahren bei Männern und 0,8 Jahren bei Frauen zu Buche.
Fettleber: Das stille Risiko
Ein besonders unterschätztes Gesundheitsrisiko ist die nichtalkoholische Fettleber, die längst zur Volkskrankheit geworden ist. Rund 30–50 % der Erwachsenen in Deutschland sind betroffen, bei Übergewichtigen steigt der Anteil auf 70–90 %, bei Menschen mit Typ-2-Diabetes sogar auf bis zu 90 %.
Die Fettleber ist kein kosmetisches Problem, sondern ein zentrales Organ der Krankheitsentstehung. Sie fördert zahlreiche Folgeerkrankungen, wie Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck, Thrombosen, und Gicht. Und auch hier gilt: Die meisten dieser Erkrankungen sind durch Ernährung, Bewegung und bewussten Lebensstil beeinflussbar oder gar vermeidbar.
Longevity beginnt mit den Basics
Der aktuelle Hype um Longevity ist spannend: NAD+, Spermidin, Epigenetik-Tests, Blutanalysen und Anti-Aging-Infusionen werden immer beliebter. Doch während einige sich bereits mit der Frage beschäftigen, wie sie 120 Jahre alt werden können, stirbt der Durchschnittsdeutsche oft deutlich früher. Bevor wir also darüber nachdenken, wie wir Menschen zu 100 gesunden Lebensjahren verhelfen, müssen wir ihnen erst die 81 sichern. Und das gelingt nicht durch Technologie allein, sondern durch Bildung, Prävention und niedrigschwellige Gesundheitsstrategien im Alltag.
Prävention statt Pillen
Die Herausforderung besteht nicht darin, neue Gesundheitsziele zu definieren, sondern die bestehenden zu erreichen. Es braucht kein Hightech-Setup, um täglich 200 g Gemüse zu essen. Es braucht keine Biohacker-App, um weniger Alkohol zu trinken oder sich regelmäßig zu bewegen. Was es braucht, ist eine Gesundheitsbildung, die verstanden wird, Angebote, die in den Alltag passen und Strukturen, die gesundes Leben erleichtern statt erschweren.
Fazit: Die Lücke schließen
Zwischen dem biologisch möglichen (122 Jahre) und dem gesellschaftlich erreichten Lebensalter (81 Jahre) klafft eine gewaltige Lücke. Diese Lücke ist keine Frage des Schicksals, sondern eine Frage der Entscheidung. Und genau hier sollte unser Fokus liegen: Nicht zuerst auf maximaler Lebensverlängerung, sondern auf dem Zurückgewinnen von Lebenszeit, die wir heute unnötig verlieren.
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