Die Kunst zu leben

„Lebenskunst besteht darin, die eigene Natur mit der eigenen Arbeit in Einklang zu bringen.“ So brachte es der spanische Lyriker Luis Ponce de Léon schon im 16. Jahrhundert einmal passend auf den Punkt. Familie, Freunde, Gesundheit und eben die Arbeit - spricht man heute mit Menschen darüber, welche Faktoren ihre Lebenszufriedenheit maßgeblich mitbestimmen, sind es in der Regel doch diese. Dabei spielt die Arbeit rein stundenmäßig aber gar nicht eine so große Rolle in unserem Leben, wie man es vielleicht vermuten mag: 16 Prozent unseres Lebens sagen die einen. Weniger als ein Viertel oder auch als ein Drittel nennen andere den Anteil unserer Zeit, die wir mit der Arbeit verbringen. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo dazwischen. Doch egal, wieviel Arbeit nun in einem Leben steckt, die Befindlichkeit im Job hat einen gehörigen Einfluss darauf, wie glücklich und zufrieden wir insgesamt mit unserem Leben sind. Dass die gefühlte Bedeutung offensichtlich größer ist als die quantitative, werte ich als zusätzlichen Beleg dafür, welch hohen Stellenwert die Arbeit doch für die eigene Lebensqualität hat. Wenn wir jeden einzelnen fragen würden, was genau es braucht, um ein gutes Gefühl bei der Arbeit zu haben und mit seiner Tätigkeit zufrieden zu sein, bin ich mir ziemlich sicher, dass es am Ende das menschliche Miteinander ist, das eine wesentliche Rolle spielt. Wertschätzung und Respekt für die geleistete Arbeit und als Mensch wünscht sich jeder – Vorausgesetzt natürlich, dass grundlegende Faktoren wie Gehalt, Sicherheit und die physischen Arbeitsbedingungen stimmen.

Genau das sind aus meiner Sicht auch die entscheidenden Voraussetzungen – wertschätzendes und teamorientiertes Handeln – für die Innovationen und Kreativität, die es braucht, um Dinge zu verändern. Nur so können Prozesse neugedacht, nur so kann der dringend notwendige Modernisierungs- und Innovationsschub mit der zentralen Herausforderung Digitalisierung endlich Fahrt aufnehmen. Das Gelingen der digitalen Transformation ist nicht nur für das Gesundheitswesen, sondern für die Zukunftsfähigkeit unseres gesamten Landes unverzichtbar. Veränderungen werden von Menschen gemacht. Und sie werden nur dann gemacht und nicht blockiert, wenn Menschen Lust auf Neues haben, wenn sie sich wohlfühlen, wenn sie auch und gerade während der Arbeit „leben“ und damit ihre Stärken und Ideen einbringen können. Und ja, auch das Scheitern, wieder aufstehen und neu beginnen gehört dazu – eine resiliente, eigentlich unverzichtbare Wesensart, die in Deutschland im Gegensatz etwa zu den USA leider signifikant unterentwickelt ist. Aber egal, welche Mentalität zugrunde liegt - die Kunst zu leben und die Lust zu arbeiten darf kein Widerspruch sein. Es braucht mehr menschliches Miteinander, um den Fortschritt, um vor allem die digitale Transformation voranzutreiben. Am Ende steht sogar ein selbstverstärkender Effekt: Denn digitale Systeme und auch KI tragen nachhaltig dazu bei, dass wieder mehr Zeit füreinander bleibt, für Austausch, Kreativität und Diskussion. Gerade die KI kann den Menschen dort ersetzen, wo er ersetzbar ist, und stärken, wo er unersetzbar ist – zum Beispiel im direkten Patientenkontakt.

Das ist die zentrale Erkenntnis, die wir als Universitätsmedizin Essen aus der Transformation zum Smart Hospital und später zum umfassenden Human Hospital mitgenommen haben. Klassische menschliche Werte wie Respekt, Wertschätzung und Empathie, vor allem aber zeitgemäßes Führungsverhalten sind kein „Gedöns“, um es mit einem früheren Bundeskanzler zu sagen. In einer im engeren Sinne „menschlichen“ Umgebung zu arbeiten ist vielmehr unabdingbare Voraussetzung für Fortschritt und Innovation.

Für mich als Arzt und Manager geht dies mit einer klaren Zielprojektion, auch gewissermaßen mit einer „Belohnung“ einher. Wir schaffen durch MENSCHLICHKEIT auch das empathische Krankenhaus der Zukunft. Es hat zum Ziel, die medizinische Versorgung der Zukunft besser zu machen. Human Hospital bedeutet: maximale Leistungsfähigkeit der Krankenversorgung, spürbare Entlastung der Beschäftigten, eine enge, digitalgestützte Verknüpfung mit anderen Akteuren im Gesundheitssystem, mehr Wirtschaftlichkeit, mehr Wertschätzung und ausgeprägter Klima- und Ressourcenschutz.

Das Human Hospital steht für eine innovative, digitalisierte und zukunftsfähige Medizin, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und den Zugang zu umfassender medizinischer Versorgung gewährleistet. Damit kehren wir zurück zu den originären Aufgaben in der Gesundheitsversorgung. Die Kunst zu leben ist insofern nicht nur eine schöngeistige, philosophische Betrachtung im Sinne von Luis Ponce de Léon. Leben, Mensch sein, sich wohl fühlen, verstanden werden ist auch ganz pragmatisch-betriebswirtschaftlich gesehen der Schlüssel zu einer besseren Arbeitswelt, ist die Verbindung von Motivation und Leistung. Und damit sind am Ende Attribute, über die wir alle verfügen, die wir nur einsetzen müssen, entscheidend für unser Wohlergehen.

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Prof. Dr. Jochen A. Werner
Advisory Board, 10xD ><