Digitale Formate bringen erhebliche Veränderungen für das Therapieerlebnis

War man, so auch ich, früher ausschließlich auf die tiefgreifende Erfahrung von spezialisierten Neurologen angewiesen, um beispielsweise ein Parkinson-Syndrom frühzeitig zu erkennen, geben heute eine Vielzahl von bildgebenden und labormedizinischen  Hightech-Verfahren Ausschlussgewissheit vor Fehldiagnosen. (Ca. 25-30% der Parkinson-Diagnosen sind nach wie vor  fehlerhaft). Nun wartet der interessierte Patient seit Jahren auf das Erlebnis der ePA, des eRezeptes und des eMedikationsplanes. 

Bekanntermassen schreibe ich selbst an Stellungnahmen zu Referentenentwürfen  mit, bin seit gewiss 5 Jahren bei nahezu allen Leitveranstaltungen bis hin zum Digitalisierungsgipfel dabei und habe schon 2021 in Patientenselbsthilfegruppen die digitalen Formate vorgestellt. Unentwegt vollziehe ich die Aktualisierungen der Versionen der Apps meiner Krankenkasse und des E-Rezeptes und warte. Ich bin seit 2015 im Wartestand, mein Erkrankungsbild und -fortschritt ist bei dem mich behandelnden Professor noch immer in mehreren in kräftigem rosa gehaltenen Schnellheftern dokumentiert. Keine ePA, kein eMedikationsplan, kein Notfalldatensatz und die Rezepte für den Konsum von gut 10 Tabletten pro Tag sind postkartengroß und rosa. 

Inzwischen nehme ich an einer wissenschaftlichen Erhebung an einer niederländischen Fakultät teil, getragen von der berechtigten Vermutung, dass dort die Datensicherheit nicht das Patientenwohl oder gar ein denkbares Forschungsergebnis zur Überwindung der bis heute als unheilbar geltenden Parkinson-Krankheit blockiert. Ja, blockiert! Wir sind in der Bundesrepublik Deutschland die Meister der "Pilot-Projekte", der "Beta-Versionen" und der "Arbeitskreise" und sehen in jeder Innovation Risiken. 

Dokumentation und Kommunikation stehen vor umbruchartigen Veränderungen, nicht minder die Medikamentenversorgung und vieles mehr. Am Ende des von der Gesundheitswirtschaft geplanten Prozesses steht der "smarte Patient", der proaktiv seine Vitaldaten, seine Aktivität und den eigenen möglichen Therapiefortgang mit Wearables und digitalen Gesundheitsanwendungen überwacht, sich in ganz neuer Qualität informiert und orientiert und damit einen enormen Mehrwert durch die "Digitalisierung im Gesundheitswesen" entdeckt und erfährt.

Aber ist nur der "Wissens-Nerd" ein im Sinne der technischen Angebote "smarter" Patient? Ganz und gar nicht! Der ganz normale Patient wird angewiesen sein, sich fortlaufend neue Kompetenzen anzueignen und die Versorgungswirtschaft wird gehalten sein, nachgerade den älteren, multimorbiden Patienten hier die Hand zu reichen. Was in der Finanzwirtschaft 15 Jahre dauerte, wird in der Gesundheitswirtschaft in 2 Jahren umzusetzen sein.     

Wie elementar rückständig wir in Deutschland sind, erkenne ich im eigenen Umgang mit den Leistungsketten. Da rattert und klingelt noch immer das Fax, werden DVD's und kistenweise Papier bedruckt. Selbst im Kontext einer vermeintlich privilegierten Versorgung ist der Papp-Schnellhefter noch das Mittel der Wahl, um den Arzt-Patienten-Kontakt zu dokumentieren. 

Ich wünsche mir, dass es der Versorgungswirtschaft gelingen wird, die unheilvolle Symbiose aus kulturell verwurzelter Bedenkenträgerschaft und politischer Blockade zu überwinden. Das wird der Patientensicherheit dienlich sein und am Ende zeitgemässe Versorgungsprozesse ermöglichen. Ob es den "smarten" Patienten schafft, bleibt abzuwarten. Die richtige Balance zwischen Technologie und menschlichem Einfühlungsvermögen ist entscheidend, um eine ganzheitliche, patientenzentrierte Versorgung zu gewährleisten.

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Joachim Maurice Mielert
Generalsekretär I Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) (hier Autor als als Parkinson-Patient)