Smarte Diabetesversorgung: ein Anrecht auf die bestmögliche Versorgung

Diabetes gehört zu den Top 4 der nicht-übertragbaren Erkrankungen, die relevant Gesundheit, Lebensqualität und Lebenserwartung der Bevölkerung einschränken und für die die WHO uns aufgerufen hat, Strategien zur Problemlösung zu entwickeln. Diabetes ist ein exzellentes Beispiel dafür, wie digitaler Fortschritt in der Medizin Menschen dabei unterstützen kann, besser und einfacher mit chronischen Erkrankungen umzugehen. Menschen mit Diabetes müssen alltäglich im Rahmen des Diabetesmanagements eine hohe Belastung hinnehmen und Therapieentscheidungen allein treffen. Digitale Technologie wie kontinuierliche Glukosemonitorsysteme oder Algorithmus-unterstützte Insulinpumpen liefern ein Plus an Informationen, warnen vor lebensbedrohlichen Situationen, teilen Daten mit Familienangehörigen, reduzieren Management-bedingte Belastung und helfen, die richtige Therapie zu wählen. In der ambulanten Versorgung sind diese digitalen Hilfsmittel etabliert und ihr Nutzen zur Glukosekontrolle, Steigerung der Lebensqualität und Verhinderung von lebensbedrohlichen Notfällen aber auch Arbeitsausfällen ist gut belegt. 

Derzeit endet diese Art der Diabetesversorgung jedoch an der Türschwelle eines Krankenhauses auf, denn die Nutzung der technischen Hilfsmittel ist nicht explizit für die stationäre Versorgung zugelassen und zudem fehlt häufig die entsprechende Fachexpertise eines versierten Diabetesteams. Dabei ist eine Kontinuität guter Diabetesversorgung für die Gesundheit des betroffenen Menschen mit Diabetes kritisch. Vier von 10 Menschen, die sich für eine Behandlung ins Krankenhaus begeben, bringen die Diagnose Diabetes mit. Dieses Zusatzgepäck beeinflusst den weiteren Krankheitsverlauf beträchtlich mit einem Plus von 2 Tagen Aufenthalt und einer doppelt hohen Rate an Krankenhaus-Infektionen. 1 von 4 Menschen mit Diabetes wird nicht als solcher identifiziert, erhält nur in 1 von 10 Fällen eine Versorgung durch Diabetes-Experten und in der Hälfte der Fälle eine inkorrekte Diabetestherapie. Sowohl Patient:innen als auch medizinisches Personal sind mit der bisherigen Diabetesversorgung unzufrieden. Das eine Optimierung der Versorgungsqualität, die diese Menschen mit hohem Risiko verdienen, gelingen kann, zeigt sich im Smart Hospital Universitätsmedizin Essen. SmartDiabetesCare ist ein Konzept des digitalisierten inhospitalen Diabetesmanagements, das den zu Verfügung stehenden technischen Fortschritt ganzheitlich in den Versorgungsprozess von Menschen mit Diabetes zusammenführt. Am Aufnahmetag werden auf das Vorliegen eines Diabetes systematisch gescreent. So fallen auch Menschen mit milder oder bisher unerkannte Glukosestörungen auf. Die durch einen Algorithmus identifizierten Fälle werden der Station und dem Diabetesteam automatisiert mitgeteilt und die nächsten Behandlungsschritte gewährleistet. 

Das Diabetesteam nimmt proaktiv und zeitnah über ein cloudbasiertes Datenmanagement an der Versorgung der Diabetes-betroffenen Patient:innen bis zum Tag der Entlassung teil und entlastet auf diese Weise das medizinische Fachpersonal. Die Glukoseüberwachung erfolgt kontinuierlich mit Hilfe von Gewebesensoren, die 1440 Glukosewerte pro Tag inkl. Voraussagen in die Zukunft in Echtzeit mit dem Pflege- als auch dem Diabetesteam teilen. Die intrahospitale Kontinuität der Diabetes-Versorgung ist damit stets gewährleistet, egal ob sich der/ die Patient:in gerade auf Station, in Untersuchungen, im Operationssaal oder auf der Intensivstation befindet. Auch in der Nacht werden lebensbedrohliche Glukosewerte unmittelbar weitergeleitet, so dass zeitnahe Hilfe erfolgen kann. 

Gerade in Zeiten der COVID-19-Pandemie waren die Vorzüge dieser innovativen Art der Diabetesversorgung eklatant offensichtlich. Wir konnten für eine Vielzahl an Patient:innen mit nur wenig Personal Versorgungsqualität aufrechterhalten, unnötige Patient:innen-Kontaktereduzieren, medizinisches Personal entlasten und wertvolle Ressourcen wie Schutzkleidung einsparen. SmartDiabetesCare visualisiert den relevanten Einfluss von Diabetes, aber auch milden Glukosestörungen wie Prädiabetes auf die Gesundheit und bietet zugleich die Chance, unserer Patient:innen vor vermeidbaren Risiken zu schützen. 

Menschen mit Diabetes haben ein Anrecht darauf, dass wir ihre besondere Situation im Krankenhaus gewahr sind und Ihnen Diabetesmanagement auf höchstem Niveau anbieten. Das zukünftige Entwicklungspotential digitaler in-hospitaler Diabetesversorgung ist riesig. Wir werden neue Generationen von Multimetabolit-Sensoren und connected Insulinpens einsetzen können. Die strukturierte Ausleitung der Daten in einen Datensee wird Basis AI-basierter individualisierter Präzisionsmedizin. Der digitale Fortschritt ist da. Wir müssen nur die Barriere zwischen ambulanter und stationärer Versorgung abbauen und offen für Innovationen sein. Für mehr Gesundheit, Sicherheit, Ressourcenschonung und Behandlungs-Zufriedenheit. Gleichberechtige Teilhabe an guter medizinischer Versorgung ist ein wesentlicher Pfeiler unserer Versorgungsqualität – Zeit zu handeln. 

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Prof. Dr. med. Susanne Reger-Tan
Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel, Universitätsmedizin Essen