Der erste Eindruck - Maßnahmen gegen den IT-Fachkräftemangel

Fachkräftemangel auch im Bereich eHealth ist kein neues Thema. Ende 2022 waren in Deutschland ca. 137.000 IT-Stellen unbesetzt. Wenn man davon ausgeht, dass nach der „Cost of Vacancy“-Berechnungsmethode eine 83 Tage unbesetzte Position im Unternehmen einen Schaden von 1 Bruttojahresgehalt für diese Position anrichtet, dann werden die enormen wirtschaftlichen Dimensionen des Themas deutlich. Auch eHealthUnternehmen haben das Problem natürlich erkannt und versuchen mit allerlei Maßnahmen ihre Mitarbeiter zu halten. Die Gehälter steigen (wenn auch langsam), wertschätzendes Führen und eine Vielzahl weiterer für Mitarbeiter positiver Verhaltensweisen werden und wurden flächendeckend eingeführt und verbessert. Es klingt schon ein wenig „ausgelutscht“, wenn darauf hingewiesen wird, dass Mitarbeiter wertschätzend und gerecht behandelt werden müssen. Dies ist schlicht „Stand der Technik“. Im Kampf um IT-Fachkräfte wird jedoch ein ganz wesentlicher Zeitraum übersehen, in dem wertschätzendes Verhalten genauso wichtig ist wie im täglichen Umgang mit den aktuellen Mitarbeitenden. Es handelt sich dabei um den ersten Eindruck einer Begegnung zwischen potenziellen Mitarbeitenden und dem Unternehmen. So wie der erste Eindruck bei jeder Begegnung zwischen zwei Menschen über Sympathie und Ablehnung entscheidet, so ist die erste Begegnung zwischen Kandidat*Innen und Unternehmen entscheidend für die Frage ob ein Unternehmen eine Fachkraft dazu bewegen kann für das Unternehmen zu arbeiten. 

Hat ein Bewerber oder eine Bewerberin im Bewerbungsverfahren nicht sehr schnell den Eindruck, dass seine oder ihre Person und die Vita wahrhaftig wertgeschätzt werden, dann ist das Unternehmen schlicht chancenlos. Ich erwähne dies deshalb, weil hier sehr viele Unternehmen erheblichen Nachholbedarf haben. Nachfolgend einige Beispiele:

Besteht das Mindset der Unternehmensseite darin, dass im Bewerbungsgespräch der Bewerber der Kandidat und nicht das Unternehmen ist (so wie noch vor einigen Jahren), dann wurde schon der erste Denkfehler fabriziert. Heute ist der Bewerber eher das Unternehmen selbst, denn die Fachkräfte können sich ihr Unternehmen schlicht aussuchen. Dies gilt im Besonderen, weil IT-Fachkräfte örtlich kaum mehr gebunden sind. Im Bewerbungsgespräch ist es daher wichtig, um den Kandidaten zu werben, indem Unternehmensvertreter gut vorbereitet sind (Nicht: „So, schauen wir mal, wen wir da haben“), ihr Unternehmen und die Position ausführlich vorstellen und sich für die Person und Persönliches des Kandidaten oder der Kandidatin interessieren (Hobbys, Familie, Werte).

Ein weiteres Element von Wertschätzung ist Schnelligkeit. Jeder Tag, der vom Eingang der Bewerbung bis hin zum ersten Gespräch zu viel vergeht, lässt beim Bewerber den Eindruck mehr entstehen, das Unternehmen hält es für nicht so wichtig, ob der Bewerber Teil des Unternehmens wird oder nicht. Leider scheitern gerade viele IT-Unternehmen daran, dass die Prozesse viel zu lange dauern. Eine wesentliche Ursache hierfür ist der Workload im täglichen operativen Tun. Fachabteilungen, die in einen bestimmten Recruiting Prozess eingebunden sind, sollten daher bereits zu Beginn feste Time Slots für die Bewerbungsgespräche einplanen und ihre Kalender dafür blockieren.

Besonders wertschätzend ist es, nicht nur Positionen untereinander auszutauschen, wie etwa Gehaltshöhe, Urlaub und Startzeitpunkt, sondern auf die Interessen des Bewerbers oder der Bewerberin einzugehen. In diesem Zusammenhang stellen wir ein Interesse fest, dass in den letzten Jahren an Bedeutung zugenommen hat. Es handelt sich hierbei um das Interesse nach Sicherheit. Wirtschaftliche und politische Entwicklungen haben viele - gerade junge - Menschen verunsichert, sie haben Zukunftsängste geschürt, die Fälle psychischer Erkrankungen nehmen dramatisch zu. Arbeitsplätze selbst werden durch häufige Restrukturierungsmaßnahmen, etwa infolge von Übernahmen oder dem Einstieg vom Private Equity immer unsicherer. Sorgen Sie unbedingt dafür, dass Bewerber den Eindruck gewinnen, dass ihr neuer Job kein Spielball von Unternehmensstrategien ist, sondern die Mitarbeitenden dauerhaft gebraucht werden. Vielleicht sollte man schon mal über den Wegfall einer Probezeit nachdenken. Dies ist immer noch ein „no go“ für Unternehmen, ich glaube jedoch, dass sich auch hier die Zeiten ändern.

Anpassung an die realen Verhältnisse verbessern für eHealth-Unternehmen deutlich die Chance, die „Einhörner“ zu finden, die sie benötigen, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein.

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Peter Schönberger
Leiter der Kompetenzfelder Healthcare & Legal Norecu Executive Search