Digitalisierung in der Zahnmedizin – Wege in die Zukunft

In der Zahnmedizin gibt es seit vielen Jahren schon vielfältige Anwendungen digitaler Technik. Vom zahntechnischen Bereich mit Einsatz von CAD/CAM-Prozessen, digital gesteuertem Fräsen von Brücken und Kronen -als Halbfertigteile oder Vollkronen aus Zirkonoxid oder Titan-, über Scanner-Einsätze im Mund anstelle von würgereizhervorrufendem Abdruckmaterial bis hin zu computerunterstützter Planung von Knochenaufbauten und Implantationen. Die Einsatzbereiche sind vielfältig und bringen heute neben Komfort, Kostenreduktion und Zeiteinsparungen vor allem eine vielfach höhere Präzision in der Herstellung von Zahnersatz oder mehr Sicherheit durch exaktere Planungen bei Operationen in Nervnähe. All das kommt sowohl dem Patienten zugute, und darum geht es ja in erster Linie; aber es hilft auch dem Arzt, denn allein aus forensischen Gründen macht eine präzisere OP-Planung Sinn.

Im Fachbereich der Zahnmedizin gibt es den Vorteil, dass seit vielen Jahren schon digital gearbeitet wird, und der implantologische und zahntechnische Teil sehr ausgeprägt und fortschrittorientiert ist. Aufgrund der hohen erzielbaren Margen ist die Zahnmedizin auch für die Industrie schon immer ein lohnendes Ziel gewesen; daher wurde hier permanent in die Forschung investiert. Das kommt diesem medizinischen Bereich heute zugute. Neben der reinen technischen Anwendung gibt es auch immer mehr digitale Anwendungsmöglichkeiten im Bereich des Praxismanagements und der Verwaltung. So können über Schnittstellen der unterschiedlichen Praxis-Management-Systeme hilfreiche Tools von ambitionierten Medizin-Start-ups verbunden werden, die beispielsweise die Patientenaufnahme und fortlaufende Patientenbetreuung für beide Seiten -Patient und Praxis- deutlich beschleunigen und vereinfachen. Ein Beispiel: Die klassische Patientenaufnahme erfolgte immer über einige Seiten Papier, die der Patient an der Anmeldung in die Hand gedrückt bekam und im Wartezimmer ausfüllen musste. In einer eng getakteten und gut strukturierten Praxis mit optimalem Zeitmanagement konnte das schon zu Verzögerungen führen, je nach Ausfüllgeschwindigkeit und Rückfragen.

Aufklärungsbögen gab es ebenfalls auf Papier, genauso wie Heil- und Kostenpläne. Häufig wurden auch entsprechende Planungen und Kostenvoranschläge mitgegeben oder verschickt, die danach nicht mehr weiterverfolgt wurden. Die Digitalisierung kann all das erleichtern. Nach einer online-Terminvergabe wird automatisch der Anamnesebogen auf das Handy oder den PC verschickt und kann dort im Vorfeld ausgefüllt und zurückgesendet werden.

Terminerinnerungen erfolgen per SMS oder Mail und sind mit Rückbestätigungsfunktion versehen. Somit reduziert sich die no-show-Rate dramatisch; und auch dem Patienten ist geholfen, wenn er durch ein versehentliches Vergessen eines Termins wieder Monate auf einen neuen Termin warten müsste. Ähnliche Systeme werden schon seit Jahren erfolgreich von Restaurants zur Buchung und Reservierungsbestätigung genutzt. Nicht-Erscheinen ohne Absage führt dann zu einer Kreditkartenbelastung beim Gast; das Restaurant hat aber zumindest einen Ersatz für ausgefallene Esser und nicht vergeblich Lebensmittel eingekauft, um dann auf den Kosten sitzenzubleiben. Eine ähnliche rechtliche Möglichkeit wäre auch für nicht eingehaltene Arzttermine wünschenswert.

Gleiches Procedere gibt es für Aufklärungen oder Kostenpläne; einschließlich der Nachverfolgung dieser Planungen oder Behandlungen. Am Tag vor und nach einem Eingriff kann der Patient automatisch kontaktiert werden und per Auswahlmöglichkeiten seine Fragen stellen oder Auskunft zu seinem Befinden geben. Die „Patient-Journey“ kann somit komplett digital begleitet werden. Sogar der Kontakt zu den Krankenkassen geht, wenn auch sehr holprig, mittlerweile vielfach online. Genehmigungen von Kostenplänen bei den gesetzlichen Krankenkassen laufen direkt vom Arzt zur Kasse ohne Zwischenstopps und postalische Verzögerungen. Prognostisch werden so in Zukunft viele Stellen bei den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen überflüssig werden; und wahrscheinlich irgendwann die Kassenzahnärztliche Vereinigung selbst auch. Da der Trend deutlich weg von den kleinen Einzelpraxen hin zu Medizinischen Versorgungszentren geht, werden zukünftig große Gruppen Einzelverträge mit den Kassen abschließen können und somit die momentan sehr limitierenden Reglementierungen und Budgetierungen umgehen.

Eine weiterentwickelte Digitalisierung im Verwaltungsbereich spart daher nicht nur Kosten für überflüssig gewordene administrative Stellen, sondern beschleunigt und unterstützt sowohl die Bearbeitung von Behandlungsplänen als auch die entsprechende faire und angemessene Bezahlung der Praxen und Kliniken. Wenn man allein die immensen heutigen Kosten für das Vorhalten einer Verwaltung wie die Kassenzahnärztliche Vereinigung im Vergleich zu ihrer eigentlichen Aufgabe sieht, nämlich der Verteilung der Gelder der gesetzlichen Krankenkassen auf die Zahnärzte, erkennt man schnell ein Optimierungspotential. An ihrer anderen Aufgabe ist sie bereits gescheitert: der Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung. In den nächsten fünf Jahren gehen 40% der niedergelassenen Zahnärzte in Rente, ohne dass ein Nachfolger für ihre Praxis in Sicht wäre. Das liegt unter anderem an der immer größer werdenden Unattraktivität der Übernahme einer Einzel- oder Gemeinschaftspraxis wegen überbordender Verwaltungsarbeit und nicht vorhersehbarer budgetbedingter Regresse. Nicht ohne Grund kommt im Durchschnitt auf zehn abzugebende Zahnarztpraxen nur ein Übernahme-Interessent. Nicht einmal geschenkt wird das Interesse größer. Bei einer weiteren Digitalisierung und damit einhergehender Beschleunigung und Vereinfachung sämtlicher verwaltungstechnischer Prozesse sowie Sicherstellung einer angemessenen und planbaren Bezahlung bei gleichzeitiger Verschlankung bürokratischer Strukturen durch Abbau überflüssiger Stellen und Posten wäre die Attraktivität einer Praxistätigkeit um ein Vielfaches größer.

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Dr. Jörn Thiemer
Zahnarzt, Investor, ehem. CEO und CDO Zahneins