Ärztin und Unternehmerin – ein Widerspruch?
Für Ärztinnen und Ärzte ist es ganz normal, sich selbstständig zu machen. Ein großer Teil lässt sich im Laufe des Arbeitslebens nieder und gründet eine eigene Praxis. Damit werden jedes Jahr mehr als 1.000 meiner Kolleginnen und Kollegen zur Unternehmerin oder zum Unternehmer. So könnte man jedenfalls meinen und auf dem Papier mag das auch stimmen. Trotzdem nehmen nur die wenigsten Kolleginnen und Kollegen ihre Praxisgründung auch als Unternehmensgründung wahr. Unternehmertum und Entrepreneurship spielen in Ärztekreisen keine Rolle. Tatsächlich gelten für die Niederlassung einige Sonderregeln, die in anderen Wirtschaftsbereichen seltsam anmuten würden. Beispielsweise können Praxen keine eigenen Preise festlegen und in der gesetzlichen Versorgung limitieren die Kassensitze, wie viele Gründungen es überhaupt geben darf. Lizenzen werden allerdings auch in anderen Sektoren vergeben. Und auch viele Unternehmen außerhalb des Gesundheitswesens können ihre Preise nicht beliebig ändern. Was sind also die Gründe dafür, dass eine unternehmerische Denkweise unter Ärztinnen und Ärzten so selten ist? Passt das Arzt-Sein einfach nicht zum Unternehmer-Sein?
Mein Weg zur ärztlichen Unternehmerin
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass eine Tätigkeit als Ärztin und Unternehmerin durchaus möglich ist. Mehr noch, beide Rollen können sich gegenseitig ergänzen. Selbst erlebt habe ich das als ich Jahre nach meiner Niederlassung als Ärztin eine Software für ein besseres Termin- und Ressourcenmanagement gesucht habe. Ich konnte kein Angebot finden, das meiner Praxis wirklich weitergeholfen hätte. Also habe ich begonnen, eine solche Software anhand des Bedarfs in meiner Praxis mit einem kleinen Team selbst zu entwickeln. Inzwischen ist die Software dubidoc am Markt erfolgreich. Mehrere hundert Praxen setzen inzwischen auf die Lösung. Zu dieser Erfolgsstory wäre es nie gekommen, wenn leidvolle Erfahrungen im Praxisalltag mich nicht zur Gründung bewegt hätten. Insofern gab die ärztliche Tätigkeit sogar den Anstoß für meine unternehmerische Arbeit.
Entrepreneurship bringt die Medizin weiter
Gleichzeitig spüre ich heute, wie meine Erfahrungen aus der Gründung eines Software-Start-ups jetzt auch den Praxisbetrieb positiv beeinflussen. Inzwischen ist aus einer HNO-Praxis ein Verbund mit mehreren Standorten, Schlaflabor und Belegbetten geworden. Dabei wird immer deutlicher, dass Funktionen wie Personal, Marketing, Administration und Kundenservice auch im Praxisalltag eine sehr große Rolle spielen. Das Unternehmertum bietet eine Fülle an Konzepten und Methoden, um aus einer Gründung ein wachsendes Unternehmen zu machen. Erstaunlich vieles davon lässt sich auch auf eine Praxis anwenden. Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, die mehr Patientinnen und Patienten versorgen wollen, wirtschaftlicher arbeiten möchten oder über eine Expansion nachdenken, sollten sich deshalb unbedingt genauer mit Entrepreneurship beschäftigen. Denn jede Praxis lässt sich als Unternehmen führen. Die meisten Ärztinnen und Ärzte verschenken eine Menge unternehmerisches Potential.
Entrepreneurship lernen
Als ich mit dubidoc bewusst ein unternehmerisches Projekt gestartet habe, waren fast alle unternehmerischen Ansätze und Ideen Neuland fürmich. Das ist leider kein Zufall. Medizin und Wirtschaft sind an den Universitäten wohl so weit voneinander entfernt wie sonst keine weiteren zwei Fachbereiche. An den medizinischen Fakultäten spielt Betriebswirtschaft nicht im Geringsten eine Rolle. So verwundert es nicht, dass eine unternehmerische Denkweise den meisten Ärztinnen und Ärzten völlig fremd ist – auch noch Jahre nach der Gründung. Hier besteht dringender Nachholbedarf. Persönlich bin ich sehr dankbar für meinen Einblick in beide Welten. Diese Erfahrung wünsche ich möglichst vielen meiner Kolleginnen und Kollegen – insbesondere denjenigen, die sich niedergelassen haben und dadurch sowieso schon selbstständig sind. Denn ich bin fest davon überzeugt: Ärztin und Unternehmerin – das passt sehr gut zusammen!
Dr. Shabnam Fahimi-Weber,
Gründerin und CEO dubidoc ><