Die Medizin wird weiblich: Arbeitsmodelle müssen angepasst werden
Der Einfluss von Frauen auf die Gesellschaft wächst stetig – auch in der Medizin. „Die Medizin wird weiblich“, das wissen wir schon lange. Schaut man in die Hörsäle der medizinischen Fakultäten begegnen einem überwiegend Medizinstudentinnen. Diese Geschlechterverteilung ändert sich jedoch je weiter man die akademische Laufbahn betrachtet. Nur selten werden Kliniken von Chefärztinnen geleitet. Auch in der Riege der Oberärzte dominieren meist die männlichen Kollegen.
Warum?
Stichwort Arbeitszeitmodelle. In der Medizin arbeiten Vollzeitangestellte meist deutlich mehr als die vertraglich festgelegten 100%. Schicht- und 24h-Dienste sind weiterhin weit verbreitet, das Ende des Arbeitstages ist meist unvorhersehbar. Einzelne Rotationen (z.B. Notaufnahme, Intensivstationen), die für die Facharztausbildung in vielen Bereichen durchlaufen werden müssen, bedeuten Schicht- und Nachtdienste für mehrere Monate am Stück. Mal startet der Arbeitstag um 7:00 Uhr, mal endet er um 22:00 Uhr. Dazwischen ist alles möglich. Die Dienste an Wochenenden und Feiertagen, der Jahresurlaub mit der Familie – all das muss Monate im Voraus geplant und festgelegt werden. Änderungswünsche sind nicht immer erfolgreich. Alternative Dienstmodelle? Bisher undenkbar.
Nach dem ca. 6-jährigen Medizinstudium folgt meist eine 5-6-jährige Facharztausbildung. Diese fällt genau in den Lebensabschnitt, in dem das Thema Familienplanung interessant werden kann. Gerade in Bezug auf die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf können die starren Arbeitszeitmodelle in medizinischen Berufen dazu führen, dass eine Entscheidung gefällt werden muss:
Familie oder Karriere?
Eine Reduktion der Stundenzahl bei knappen Stellenschlüsseln bedeuten häufig eine Mehrarbeit zu Lasten der Vollzeit-angestellten Kolleginnen und Kollegen. Und sorgen damit für Unmut. In der knappen Personaldecke der medizinischen Berufe wird daher eine Stundenreduktion oder Teilzeitarbeit entweder gar nicht oder sehr ungerne angeboten. Home-Office? Aus Datenschutzgründen und erschwerten IT-Möglichkeiten häufig undenkbar. Flexible Arbeitszeitmodelle würden hier die Vereinbarkeit erleichtern, sie stecken aber in medizinischen Berufen weiterhin in den Kinderschuhen.
Neue Alternativen?
Der Weg in die Selbstständigkeit, sei es mit eigener Praxis oder dem eigenen Unternehmen, wird immer häufiger gerade von Frauen in medizinischen Berufen gewählt. Nicht nur das abgeschlossene BWL-Studium alleine stellt hier eine Voraussetzung dar, sondern ebenso die medizinische Expertise und das Bedürfnis Versorgungsengpässe durch eigene Ideen und Produkte zu beheben. Sei es zur Verbesserung der Patientenversorgung oder der Prophylaxe von Erkrankungen. Und diese Konzepte gehen auf! Durch medizinische Start-Ups entstehen nicht nur innovative Produkte, sondern auch innovative Arbeitszeitmodelle, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern. Frauen sind gut vernetzt, unterstützen sich und sorgen gegenseitig für mehr Sichtbarkeit. Sie erschaffen ein attraktives Arbeitsumfeld und zeigen damit, dass eine Entscheidung zwischen Familie und Karriere nicht immer zulasten der Karriere fallen muss.
Der Blick in die freie Wirtschaft kann künftig Inspiration für übergreifende Arbeitszeitmodelle sein. Denn ohne dynamische Anpassung der Anforderungen am Arbeitsplatz an die Ansprüche der jungen Ärztinnen (und Ärzte), werden sich künftig noch mehr gut ausgebildete, qualifizierte und motivierte Mitarbeiterinnen neu orientieren.
Der Female Shift hat schwierige Themen in der Gesellschaft in den Mittelpunkt gerückt und auf Missstände aufmerksam gemacht. In der Medizin wird das erst der Anfang gewesen sein.
Dr. Christina Düsing, Advisor 10xD ><
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