Die Wahrnehmung von Female Shift im Gesundheitswesen

Von klein auf war die pauschale Differenzierung zwischen Frauen und Männern nie ein Thema für mich. Man lehrte mich, dass jeder Mensch unterschiedliche Stärken und Schwächen hat. Dass ich mit Autos gespielt habe und in meiner ersten WG-Schraubenzieher und Bohrer selbst bediente, war für mich schon immer eine Selbstverständlichkeit. Mit meinem Einstieg in die Berufswelt wurde mir dann plötzlich bewusst, wie konservativ teilweise agiert wird. Gemäß der PwC Studie „Frauen in der Gesundheitswirtschaft 2020“ ging der Anteil weiblicher Führungskräfte im Vergleich zu 2015 sogar um 4 Prozentpunkte zurück und liegt aktuell bei 29%. Diese Zahlen entsprechen meiner Wahrnehmung für das Thema Diversität, wodurch ich hierfür über die Jahre zunehmend sensibler wurde.

Als Management Consultant im Gesundheitswesen bewegen mich zwei weitere Gründe, diesen Artikel zu schreiben. Zum einen lässt sich der Consulting-Bereich weiterhin eher als Männerdomäne zusammenfassen, weshalb ich mit dem Thema Female Empowerment häufig konfrontiert werde. Zum anderen beschäftige ich mich in meinem Job täglich mit aktuellen Entwicklungen und Trends. Eine solche Entwicklung, die derzeit viel diskutiert wird, ist der Megatrend "Female Shift".

Megatrends lassen sich als Lawinen in Zeitlupe begreifen. Der Female Shift selbst definiert eine Veränderung in unserer Gesellschaft: Die tradierten, sozialen Rollen, die Männern und Frauen in der Gesellschaft zugeschrieben werden, werden heute infrage gestellt. Im Zuge dessen werden Geschlechtsstereotype an vielen Stellen bereits aufgebrochen.

Ich selbst nehme im Gesundheitswesen im beruflichen Kontext zunehmend verschiedenste Bewegungen wahr: Auf der einen Seite erlebe ich starke Netzwerke, die sich für Frauen in Führungspositionen einsetzen, die das Bewusstsein für Genderfragen schärfen wollen, die gendergerechte klinische Studien entwickeln und Methoden gendergerecht anpassen wollen. Weiterhin nehme ich eine Bewegung wahr, die in Fraueninitiativen eine Überbetonung von Geschlechterunterschieden sieht und die Benachteiligung von Männern im Gesundheitswesen befürchtet. Häufig beobachte ich dabei die Argumentation, dass Gleichberechtigung auch bedeute, Männer nicht zu benachteiligen.

Ich erlebe also beide Perspektiven und versuche, die Argumente und Ansichten aller Richtungen nachzuvollziehen, um damit meine eigene Auffassung zu testen und zu schärfen. 

Tatsächlich hat sich meine Ansicht durch die zahlreichen Eindrücke jedoch seit Jahrzehnten nicht geändert, sondern eher manifestiert. Ich betrachte den Menschen als Individuum – und wie ich bereits zu Beginn sagte: Jeder Mensch bringt andere Stärken und Schwächen mit. Natürlich unterstütze ich die Initiativen, die Awareness für neue Themen schaffen. Natürlich ist es mir ein Anliegen, Frauen im Gesundheitswesen zu stärken. Selbstverständlich möchte ich, dass die Vorstands- und Führungspositionen im Gesundheitswesen divers aufgestellt sind. Auch eine gute, medizinische Versorgung sollte für alle Menschen gleichermaßen zugänglich sein, unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität. Bei Gleichberechtigung geht es darum, das Individuum in den Vordergrund zu stellen. Identitäten definieren sich jenseits vom Geschlecht. Diversität soll zur neuen Normalität werden. Das Geschlecht soll seine schicksalhafte Bedeutung verlieren und weniger über den Verlauf individueller Biografien bestimmen.

Betrachten wir den Menschen als Individuum bemerken wir schnell, wie überholt der Geschlechterkampf ist. Der „Shift“, der da lawinenartig auf uns zukommt, ist weitaus mehr als der Female Shift. Es ist ein Gender Shift, der Strukturen aufbrechen und Raum für Neues schaffen wird – damit erhoffe ich mir, dass schon die Generation nach mir in ihrem Berufseinstieg nicht mehr von konservativen Strukturen überrascht wird, so wie es bei mir der Fall war.

Miriam Golis, 
Business Unit Manager, UNITY ><

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