Jochen A. Werner im Gespräch mit Francesco De Meo
Er gilt als Paradebeispiel für den gesellschaftlichen Aufstieg: Dr. Francesco De Meo, geboren auf der Schwäbischen Alb als Sohn eines italienischen Gastarbeiters und einer deutschen Näherin. Nach seinem Jurastudium und der Promotion arbeitete er zunächst als Anwalt und Geschäftsführer einer deutschen Unternehmensberatung. Im Jahr 2000 wechselte er zum deutschen Krankenhausträger Helios. Von 2008 bis 2023 als CEO von Helios und im Vorstand des im DAX notieren Gesundheitskonzerns Fresenius entwickelte De Meo das Unternehmen zu Europas führender privater Kliniken-Gruppe. De Meo bewies dabei, dass Profitabilität UND Patienten- wohl kein Widerspruch sein müssen, sondern vielmehr zwei Seiten der gleichen Medaille abbilden. Insofern strahlte De Meo schon immer weit über sein eigenes Unternehmen hinaus: Er galt und gilt als unkonventioneller – manchmal unbequemer – Denker, der in der eher trägen und selbstverliebten Medizin eingestaubte Glaubensgrundsätze in Frage stellt. Im Alter von 60 Jahren schied Dr. Francesco De Meo aus dem Unternehmen aus und konzentriert sich darauf, auch weiterhin wichtige Impulse für die Transformation der Gesundheitsversorgung in Deutschland und anderen Industriestaaten zu geben. Passend dazu erscheint im September sein Buch „Den schlafenden Riesen wecken: Wie ein gesundes Gesundheitssystem entsteht, wenn wir es wirklich wollen“.
JAW: Dr. De Meo, ist Ihr Buch eher eine rückblickende Autobiographie oder eine Vision für die Zukunft vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen?
FDM: Der schlafende Riese hat von beidem was. Weil wir aus Erfahrungen für die Zukunft lernen können. Auch im deutschen Gesundheitswesen. Und weil wir Visionen brauchen, wenn sich Dinge wirklich bewegen sollen. Als roten Faden für eine Transformation.
JAW: Der Untertitel Ihres Buches lautet: Wir können das Gesundheitssystem verändern, wenn wir es wirklich wollen. Die Frage ist: Wollen wir das überhaupt? FDM: Wir haben jedenfalls kein Erkenntnisdefizit. Die Missstände sind im Wesentlichen erkannt und klar benannt. Daher ist der Wunsch nach Veränderung bei vielen Beteiligten vorhan- den. Das Problem liegt in der Umsetzung und Durchsetzung.
JAW: Wenn Sie auf Ihre Zeit bei Helios und Ihre Erlebnisse zurückblicken: Hat das Gesundheitssystem die Kraft und Bereitschaft, sich selbst von innen heraus ak- tiv zu verändern? Oder gelingt das nur durch den Druck der sich verschlechternden Rahmenbedingungen?
FDM: Bislang fehlt der ehrliche Wille, jedenfalls bei den maßgeblichen Akteuren im deutschen Gesundheitswesen. Der ökonomische Druck und die fehlenden Ressourcen sind die Trigger für eine zunehmende Veränderungsbereitschaft. Sie öffnen neue Spielräume. Die gilt es nun zu nutzen, mit Intelligenz, Mut, Kraft und Ausdauer. Dann kann es von innen heraus klappen.
JAW: Sie haben in Ihrem Berufsleben als CEO von Helios viele Klinikmanager erlebt, eingestellt, gefördert, wahrscheinlich manchmal auch entlassen. Was unterscheidet ein gut geführtes Krankenhaus von einem schlecht geführten?
FDM: Das gut geführte Krankenhaus fokussiert auf die Patienten und die Behandlungsqualität. Und es hat einen Klinikmanager, der seinen Job gern macht, ordentlich ausgebildet ist und zu den kulturellen und räumlichen Eigenheiten des Krankenhausumfelds passt. Schließlich hat das gut geführte Krankenhaus ein Kernteam, das über Berufsgruppen hinweg zusammenhält, frei ist von Ego-Trips und berufspolitischen oder fachspezifischen Ränkespielen.
JAW: Die Rahmenbedingungen der Politik setzen die Leitplanken für das Gesundheitssystem. Ist dieses Primat der Politik nicht auch häufig eine populäre Ausrede für schlechtes Krankenhausmanagement?
FDM: In der Tat. „Schwarzer Peter“ wird im deutschen Gesundheitswesen sehr gern und munter gespielt, und das in alle Richtungen. Die Politik taugt prima als Ausrede und für die Flucht aus der eigenen Verantwortung. Dabei braucht es genau das Gegenteil: Lokale Akteure, die vorhandene Freiräume nutzen, ihre Aufgabe ernst nehmen und die jeweils spezifischen Transformationsaufgaben nah am Menschen anpacken. Die Politik ist gefordert, diese Freiräume zu vergrößern, weg vom Berliner Reißbrett.
JAW: Sie haben bei Helios die Internationalisierung der Gesundheitswirtshaft angestoßen. Was sind die wesentlichen Unterschiede zwischen Deutschland und anderen Ländern?
FDM: Ich fasse die Unterschiede in meinem Konzept mit der Formel FASTER zusammen: Es beginnt mit dem Finanzierungsrahmen. Die finanziellen Mittel werden in anderen Ländern klüger verteilt, damit das Geld da ankommt wo es gebraucht wird. Die Agilität, also die Bereitschaft den jeweils spezifischen Verhältnissen Freiraum bei der Gestaltung und Budgetierung zu lassen, ist zum Beispiel in Spanien stark ausgeprägt. Es geht auch um Skalierung, die innovativ eine sektorenfreie Versorgung nach dem Bedarf der Menschen braucht, und nicht die Machtspiele einer von Sektorendenken determinierten Maximierung eigner Opportunitäten. Eine echte Transformation hat in anderen Ländern schon stattgefunden, die es ermöglicht, wahrhaftig bedarfsgerechte Versorgung zu gestalten. Es gilt dort das Primat der Effektivität, damit die Beschäftigten im Gesundheitswesen nicht an den ökonomischen Hamsterrädern und Effizienzfallen zugrun- de gehen. Schließlich die Relevanz, weil andere Länder erkannt haben, dass sich nicht alles über einen Kamm scheren lässt. Fazit: Es wird nicht klappen mit einem deutschen Einheitsmichel, dafür ist Deutschland auch im Gesundheitswesen in den Regionen zu unterschiedlich aufgestellt. Es gilt da anzufangen, wo die Not am größten oder eine Um- setzung am einfachsten ist. Dann kann bei uns eine Transformation „von unten“ beginnen, und auf festen Beinen stehen.
JAW: Man kann diese Frage auch aus einem persönlichen Blickwinkel sehen. In welchem Land würden Sie am liebsten ernsthaft erkranken?
FDM: Wenn wir es schaffen, den schlafenden Riesen zu wecken, am liebsten in Deutschland – denn wir können aus dem, was wir haben, noch viel mehr für die Menschen machen!
JAW: Bitte nennen Sie drei Schlagworte für die größten Defizite im deutschen Gesundheitssystem.
FDM: Überdimensioniert. Unkoordiniert. Unbezahlbar.
JAW: Und jetzt bitte drei Schlagworte zu den größten Stärken im deutschen Gesundheitswesen.
FDM: Versorgungsdichte. Verlässlichkeit. Versorgungsqualität. Diese Stärken werden durch die Reform von Karl Lauterbach geschwächt, sie ist daher für mich eine Mogelpackung.
JAW: Sie sind im vergangenen Jahr 60 Jahre geworden, das ist häufig ein Einschnitt, um Bilanz zu ziehen. Was würden sie anders machen, wenn Sie diese Zeitspanne noch einmal leben könnten?
FDM: Eine bessere Work-Life-Balance anstreben. Die habe ich erst sehr spät erreicht. Und ich würde versuchen, die Menschen mehr für Politik zu begeistern. Um wirklich etwas zu bewegen, braucht es eine ehrliche, gleichzeitig realistische Gesundheitspolitik. Und Menschen mit praktischen Erfahrungshintergründen, die sich politisch engagieren.
JAW: Sie haben als Kind einer Gastarbeiterfamilie eine außergewöhnliche Karriere hingelegt. Glauben Sie, dass ein solcher Lebenslauf, der eine sehr durchlässige Ge- sellschaft voraussetzt, so heute noch möglich wäre?
FDM: Das steht und fällt mit der Bereitschaft, die individuelle Leistung als eine relevante Größe und als einen Maßstab für gesellschaftlichen Erfolg zu akzeptieren. In meiner Jugend war das selbstverständlich.
JAW: Sie galten immer als Prototyp des unangepassten, eigenwilligen Managers. Hat Ihnen dieses Image unter dem Strich geholfen oder doch überwiegend Dinge erschwert?
FDM: Es hat manche Dinge erschwert. Dennoch rate ich jedem, im Lauf des Lebens so gut es geht beim Denken, Reden und Handeln als Persönlichkeit authentisch zu bleiben.