Eine neue Ära der Medizin

Weshalb wird im Medizinstudium nicht viel mehr darüber gesprochen, Krankheit zu verhindern? Wenn ich auf mein Studium zurückblicke, ist das Curriculum ganz klar darauf gerichtet, Krankheiten zu diagnostizieren und zu behandeln. Auch wenn es zwischendurch ein kleines Fach namens Präventionsmedizin gab, so verstaubte dieses doch schnell umgeben von wichtigeren Fächern - sprich Fächer, für die wir lernen mussten, um sie zu bestehen. Es ist an der Zeit, dies zu ändern. Wir - Ärztinnen und Ärzte - aber auch alle anderen mit einem Interesse für Gesundheitspolitik - müssen uns mit den Vorgängen befassen, die vor Entstehung einer Krankheit stattfinden. Wir müssen diese von Grund auf verstehen, daraus Handlungsempfehlungen ableiten. Und dann unser Wissen an unsere Patientinnen und Patienten bringen.

Dies ist meiner Meinung nach eine Pflicht und Verantwortung, die uns als Ärztinnen und Ärzten obliegt. Denke ich an meine Praktika in den Arztpraxen zurück, erinnere ich mich daran, dass bei erhöhten Laborwerten, die für eine übermäßige Kalorienzufuhr und ungesunden Lebensstil sprechen, eben die Medikation angepasst wurde - mehr Tabletten, es wird schon passen! Es schien mir fast so, als wäre die Hoffnung aufgegeben, die Luft raus und was zurückblieb eine Resignation und Gleichgültigkeit unter dem alles beherrschenden Zeitdruck, der Arztpraxen und Krankenhäuser beschäftigt hält. Sich die Frage zu stellen, wie es so weit gekommen ist, liegt nahe. Ich alleine kann diese Frage nicht beantworten und das ist in diesem Moment auch nicht wichtig. Wichtig ist, dass ich die gegebenen Verhältnisse nicht so hinnehme, wie sie sind. Ich sehe glasklar vor meinen Augen, was Medizin wirklich leisten kann. Was mir hilft, zuversichtlich zu sein, ist Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Die Reaktionen auf meinen Post auf LinkedIn, in dem ich auf die beschriebene Situation im Studium eingehe, zeigen mir, dass ich etwas angestoßen habe. Die Resonanz, die ich von Menschen sowohl in den sozialen Netzwerken als auch im persönlichen Umkreis bekommen habe, hat mich dann doch überwältigt.

Wir brauchen weitsichtige Menschen, die angehenden Ärzten und solchen, die es bereits sind, aufzeigen, dass Präventionsmedizin ein fächerübergreifendes Gebiet in der Medizin ist, das enormes Zukunftspotenzial hat, man nehme nur das Beispiel Präzisionsprävention. Mein Verhältnis zu Technologie und künstlicher Intelligenz ist vor allem geprägt von Neugier und Erwartung. Sie wird uns Ärzten und Ärztinnen nicht nur Routineaufgaben abnehmen und somit neue Zeit für Patienten schaffen, sondern mittels Zusammenspiels von Präzisionsmedizin und neuen Wearables die Medizin disruptiv verändern.

Die Schnelligkeit und Kraft, mit der dies geschieht, ist bereits immens und ich kann nur alle Kolleginnen und Kollegen dazu aufrufen, sich frühzeitig mit den Entwicklungen zu befassen, um sie zu verstehen und mitgestalten zu können. Wichtig bleibt, optimistisch nach vorne zu blicken, die Zeiten für Veränderungen waren vermutlich noch nie so gut wie heute.

Eines meiner Ziele ist es, ein Verständnis von Gesundheit zu vermitteln, denn ich glaube daran, dass Veränderungsprozesse von innen heraus entstehen und nur so nachhaltig sind. Dazu ist auch Eigenverantwortung von Seiten der Patienten notwendig. Um ihnen zu ermöglichen, diese zu entwickeln, müssen wir viel mehr in Gesundheitsbildung investieren. Meine Aufgabe sehe ich darin, gemeinsam mit vielen weiteren den Weg in eine neue Medizin zu ebnen. Meine Arbeit dabei ist letztlich gebaut auf dem Fundament, das ich bei meinem Gelöbnis abgeschlossen habe: Die beste Medizin zu machen.

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Pinar Kaya