KI – der Geist der aus der Flasche

Künstliche Intelligenz ist in aller Munde. Kein Kongress vergeht, keine Besprechung endet, ohne dass der omnipräsente Begriff, „KI“ oder „AI“ oder „selbstlernende Algorithmen“ besprochen, bedacht und beäugt wird. Oft ist es wie auf der Berliner Politikbühne: Keine Ahnung, aber viel Meinung haben die dortigen Flaschen-Geister. Buzzwords ja – praktisches Wissen nein! Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) beispielsweise sieht sich nach Lektüre von Richard David Prechts Buch über KI (bekanntlich DER Fachmann auf dem Gebiet) bedroht:

„Ich teile die Einschätzung von Precht, dass […] die tatsächliche Gefahr von KI in einer ganz anderen Dimension liegt. Wir verlieren möglicherweise den Sinn für unser Leben, indem wir in unserem Alltag immer mehr künstliche Intelligenz zulassen. Darüber hinaus blendet die künstliche Intelligenz auch völlig die bevorstehende Klimakatastrophe aus. Ja, sie kann diese sogar beschleunigen.“

Nicht nur der Sinn des Lebens futsch, sondern sogar die ganze Welt – Katastrophe und Dystopie; mit dem Schüren von Ängsten macht man es sich natürlich leicht und einfach. Doch halt, sind wir wirklich bedroht? Wird irgendjemand ferngesteuert oder haben wir alle zu viele Science-Fiction Filme gesehen? Geht von der Technik per se eine echte Gefahr aus, oder ist es wieder einmal die viel beschriebene und oft belächelte „German Angst“?

Aus der Perspektive der Praxis sehe ich in der KI momentan keinerlei Bedrohung, sondern exakt das, was wir in der Medizin brauchen: den gehorsamen, unerschöpflichen Sklaven, der weder Urlaub noch Wochenende kennt, der nicht müde wird und uns Ärzten die stupiden, die repetitiven Aufgaben abnimmt. Die Flut an Daten, an Informationen, an Bildern wächst, das qualifizierte Personal wird nicht mehr, die Demographie tut ihr übriges dazu und somit dreht sich das Rad zunehmend schneller, die Papierschlacht wächst sich zum Zermürbungskrieg aus.

Es ist somit keine Frage des OB, sondern des wie, des wie schnell und des wer, die KI in der Medizin beschleunigt in den alltäglichen Einsatz bringen kann und wird. Statt des allgegenwärtigen Buzzword-Tennis auf den Hightech- und 4.0-Gipfeln – sprechen wir lieber von „Künftiger Intelligenz“! Die Frage ist doch im Grunde ganz einfach: Gestalten wir oder werden wir gestaltet? Nehmen wir hin, was uns angeboten wird, oder schaffen wir selbst Angebote? Die Zeit war noch nie attraktiver als jetzt, selbst etwas zu entwickeln, zu gestalten und auf den Markt zu bringen. Wer ein Auge auf den Spielregeln hält, der kann sich zum KI-Gebrauch im Gesundheitswesen kreativ eindenken und somit die Technologien von heute und morgen entscheidend mitentwickeln und -gestalten.

Sicherlich bringt der Gebrauch neuer Technologien mitunter auch manche Gefahr mit sich, das war bei der Dampfmaschine, bei der Einführung des Automobils der Fall, das war durch die zunehmende Präsenz des Telefons und dann des Internets so gewesen. Doch zumeist pendeln sich diese Risiken durch eine intelligente Justierung der regulatorischen Leitplanken sinnvoll ein. Nein, derzeit fährt kein Auto ohne Fahrer. Nein, derzeit operiert kein Roboter ohne Arzt am Menschen.

Es ist unsere uns selbst zu stellende Aufgabe, intelligent darüber nachzudenken, ob die Gefahr größer ist, eine neue Technologie der Justierung zu unterziehen oder sie erst gar nicht zum Einsatz zu bringen. Aus den oben genannten Gründen ist für mich der Einsatz moderner Technologie absolut unausweichlich und alternativlos, jedoch keineswegs im negativen Sinne.

Wer Faxgeräte verbieten möchte, der hat die Eigendynamik von Innovation nicht verstanden. Wie es bereits das Riepl’sche Gesetz beschreibt, ersetzt eine Technologie die vorausgegangene, indem sie ihr überlegen ist, nicht weil die jeweils ältere verboten wurde. Der Mechanismus technologischer Disruption basiert darauf, das Bessere als Feind des Guten vorzustellen und damit für Fortschritt zu sorgen.

Freuen wir uns also am Geist der Innovation, statt zu kritisieren, wer ihn vermeintlich erfunden und wer ihn aus welcher Flasche geholt haben könnte. Durch aktive Innovation wird Zukunft gestaltet und Neues entfaltet.

Vorheriger Artikel Nächster Artikel
>> Aus der Perspektive der Praxis sehe ich in der KI momentan keinerlei Bedrohung, sondern exakt das, was wir in der Medizin brauchen. <<
PD Dr. Dominik Pförringer
Klinikum Rechts der Isar I doctos.de