Daten heilen
Wie wichtig umfassende und belastbare medizinische Daten sind, um nicht nur akuten Problemen schnell effektive Maßnahmen entgegenzusetzen, sondern auch entsprechend langfristige Strategien zu erarbeiten, zeigte die Covid-19 Pandemie gerade in Deutschland eindrücklich. Es reicht längst nicht mehr über die Relevanz von Daten, Algorithmen und KI zu diskutieren, sondern es ist dringend notwendig diese in Projekten und Initiativen um- und einzusetzen, zum Wohle von Ärzten, Wissenschaftlern, aber vor allen Patienten. Wenn man soziologischen Theorien zur digitalen Gesellschaft folgt, wies unsere Gesellschaft bereits weit vor der Digitalisierung, eine digitale Struktur auf, in der kontinuierlich Daten gesammelt und analysiert wurden, um komplexe Sachverhalte zu verstehen und auf Basis dessen Entscheidungen zu treffen. Was jedoch in der heutigen Gesellschaft „neu“ ist, ist die Tatsache, dass digitale Technologien die Möglichkeit bieten eine immense Masse an Daten zu erheben und diese nicht nur aus einem Blickwinkel zu analysieren. Algorithmen und KI erlauben eine bis dato nie dagewesene Interoperabilität und Interdisziplinarität. Sie ermöglichen durch das Hervorheben von Wiederholungen und/oder Anhäufungen das Erkennen von Mustern, welche wiederum den bereits genannten Keyplayern selbst zu Gute kommen können.
Suche nach einem Biomaker: der interdisziplinäre Ansatz
Um aussagekräftige Daten nicht nur zu erheben, sondern nach aktuellen Herausforderungen angemessen zu analysieren, und nach der Suche eines Biomakers erfolgreich zu sein, bedarf es der interdisziplinären Zusammenarbeit. Während die Wissenschaft unter anderem methodische Kompetenz erbringt, liefern Ärzte ihre Expertise inklusive aktuellen Herausforderungen aus dem Praxisalltag. Parallel dazu verfügen Patienten selbst über wertvolle Informationen zu individuellen Symptomen und Therapieverläufen, die nicht mehr außer Acht gelassen werden dürfen. Das völlig neue Krankheitsbild Long Covid, eine Multiorganerkrankung mit mannigfaltigen Symptomen und unterschiedlichsten Krankheitsverläufen, ist derzeit eine der größten Herausforderungen des Gesundheitssystems. Aktuellen Studien zufolge können 10-45% aller Covid-19 Infizierten Langzeitfolgen entwickeln, so kann man derzeit von mindestens 3,8 Millionen Betroffenen in Deutschland ausgehen. Die Initiative Health4Future, die schon 2022 vom Deutschen Ärzteblatt als partizipativ betont und bis dato in Deutschland als einmalige Initiative beschrieben wurde, hat ein Team aus Wissenschaftlern, Ärzten, aber auch Strategen zusammengeführt und eine medizinische Datenbank aufgebaut. Mit Hilfe eines umfassenden medizinischen Fragebogens werden Daten zu chronischen Erkrankungen, wie nach einer Virusinfektion, erhoben und analysiert. Erklärtes Ziel ist hierbei nicht nur Ursachenforschung bei Inklusion sämtlicher medizinischer Fachbereiche, sondern insbesondere Therapieentwicklung. Über 14.000 Patienten stellten bisher ihre anonymisierten Daten zur Verfügung.
Im Ergebnis konnten auf Basis von Millionen Datenpunkten in weniger als zwei Jahren bereits Algorithmen programmiert werden, die den Praxisalltag von Hausärzten bei der Diagnose von Long Covid immens beschleunigen und vereinfachen. Gleichzeitig fließen Erfahrungen von Reha-Ärzten und Patienten in die Entwicklung digitaler Produkte mit ein, um den Alltag Erkrankter vereinfachen zu können. Bei der App Helping Hero, die im Frühjahr 2025 lanciert wird, handelt es sich um ein digitales Tagebuch, welches Patienten mit Fatigue die Strategie des Pacings näher bringt, tägliche Aktivitäten und Ruhepausen gezielt plant und an die individuelle Belastbarkeit anpasst. Der Healther-Bericht, welcher auf explizierten Wunsch des Patienten erstellt wird, fasst dann relevante und fachübergreifende Datenpunkte für den behandelnden Arzt zusammen, um die weitere Behandlung individuell und in kürzester Zeit anpassen zu können. Gerade bei chronischen Erkrankungen, für die noch an Heilung und Therapie geforscht wird, ein wichtiges Hilfsmittel.
Es gilt die Relevanz der Interoperabilität und Interdisziplinarität in Bezug auf medizinische Daten und ihrer Analyse nicht mehr nur zu diskutierten, sondern - bei allen bekannten Herausforderungen - aktiv zu implementieren. Einzelne Projekte und Initiativen wie jene von Health4Future zeigen schon heute, dass dies möglich ist. Denn die sich daraus ergebenden Chancen für medizinischen Fortschritt für Ärzte, Wissenschaft, aber gerade auch Patienten, sind nicht nur exponentiell, sondern markieren den echten Wert unserer heutigen digitalen Gesellschaft.
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