Der Zweck heiligt die Mittel?

Medizin und Mode? Das klingt auf den ersten Blick fremd und ist sich doch so nah. Was ich damit meine ist nicht, wie fesch Ihre Ärztin daherkommt oder wie praktisch die Mode der weißen Sneaker in den Arzt Alltag passen. Nein, es geht heute und hier darum, welche Trends und damit welche kurz- oder auch längerfristigen Modeerscheinungen die Medizin und vor allem die ihr verwandten Disziplinen beeinflussen. Daran schließt sich die Frage an, wann der Patient den Arzt und wann der Arzt den Patienten beeinflusst und welche Grenzen wir welchem Denken als Leitplanke setzen wollen.

Nehmen wir uns zwei Beispiele, um das Greifbare denkbar zu machen: Der Volksmund nennt sie die Abnehmspritze, ursprünglich wurde Semaglutid entwickelt für Diabetespatienten, ist derzeit in aller Munde, besser gesagt in vielem Bauche und reduziert so manches Doppelkinn. Die Welt des Glamours hat das Abnehmen der letzten Pfunde auf biochemischem Wege für sich entdeckt und propagiert selbiges nun ostentativ. Dies beflügelt pharmazeutische Börsenkurse und nährt so manchen Traum von ewiger Jugendlichkeit und gelebtem Schlankheitswahn. Doch halt, hier hat so mancher mit dem technischen Vorgang des Denkens offensichtlich erhebliche Schwierigkeiten, die es zu überwinden schwer zu fallen scheint. Anders ausgedrückt wurde hier die berühmte Nebenwirkung wohl außer Acht gelassen oder zumindest keinesfalls mit Menschen mit Moral und Fachwissen diskutiert. Dass eben diese Moral in der Welt beunruhigend vieler Ärzte seit Jahren in eine Nebenrolle gerutscht ist, das sehen wir an den aberwitzigen Resultaten der um sich greifenden, schier grenzenlos ausufernden plastischen Chirurgie. Keine Lippe, die nicht noch dicker, keine Augenlid, dass nicht noch straffer, keine Stirn, die nicht noch glatter werden könnte, wenn der approbierte Kosmetiker, der sich „Schönheitschirurg“ schimpft, nur gut genug in seinem „Sales Pitch“ an den Kunden performt. Mit Medizin hat das wenig bis gar nichts mehr zu tun. Die bereits jetzt eher an die Geisterbahn erinnernden Resultate werden spannend, sobald die Schwerkraft im Laufe der Jahre ihr Übriges dazu getan haben wird. Schade, dass der hippokratische Eid seit Jahrzehnten nicht mehr geschworen wird, noch trauriger, dass das Prinzip des „Primum nihil nocere“ in Vergessenheit zu geraten scheint. Die erste Aufgabe, Schaden vom Patienten abzuwenden, bestimmt jeden Tag eines jeden Arztes, der sein Gewissen über seinen Geldbeutel stellt und der geradeaus denkt. Doch halt, ist es vom Denkansatz her korrekt, die blutzuckerregulierende Injektion mit Botulinustoxin oder Silikonfillern auf eine Stufe zu heben? Generell geht es bei beiden oft um das Erscheinungsbild, um die Aussenwirkung, also um die Selbstdarstellung. Doch exakt hier trennt sich Leid von Leidenschaft, hier trennt ein schmaler Grat zwischen Patienten und Kunden. Genau wie Diabetes eine ernst zu nehmende therapiebedürftige Erkrankung darstellt, hat die plastische Chirurgie als sogenannte Plastische-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie begonnen, also mit der Behandlung von Entstellungen oder der Wiederherstellung nach Unfällen, Amputationen oder größeren Traumata. Und exakt hier gilt es zu differenzieren: wer die Spritze Off-Label einsetzt, der sollte stets bedenken, wem er das noch nicht im Überschuss vorhandene Präparat möglicherweise wegnimmt und ob nicht ein anderer Mensch das Präparat weitaus dringender brauchen könnte. Wer sich über die daraus resultierenden hängenden Gesichtszüge seiner Mitmenschen (Stichwort „Sagging faces“) wundert, dem rate ich dazu, dies offen anzusprechen. Wir leben in einer Zeit, in der Intelligenz oft schweigen muss, damit Dummheit sich nicht angegriffen fühlt. Doch halt, Zivilcourage lohnt sich und ist alles andere als verboten.

Mein kleiner Hinweis und damit der Epilog resultiert aus einer Zeile von Robbie Williams: „If you can’t get a girl, but your best friend can, it’s time to move your body.“ Das heißt, auf geht es, wir alle sind für unseren Körper großteils selbst verantwortlich und jede Treppe ist ein Anlass, jede Strecke eine Chance sich aktiv zu bewegen. Jeder E-Scooter verdient das gleiche müde Lächeln wie ein Elektrofahrrad, alles nett für einen Rentner oder jemanden, der sich behindert fühlt, wir anderen dürfen gerne mit den wenigen Muskeln, die es noch gibt in die Pedale treten. Diese E-Antriebe auf kurzen Strecken, ein Synonym der verfaulenden Gesellschaft. Keiner möchte mehr eine Haube eines Autos ohne Elektromotor schließen, kein Kasten Bier wird mehr selbsttätig nach Hause getragen, alles wird geliefert, instantaneously das ist ja klar.

Das Aussehen des Körpers, dazu gehört auch das Gesicht und ja auch das lässt sich beeinflussen. Ab einem gewissen Alter sind wir auch für unser Gesicht selbst mit-verantwortlich. Und ja, das kann sich durchaus auf natürlichem Wege sehr positiv entwickeln, denken wir doch einmal an Sean Connery, der wie ein guter Roter mit jedem Jahr besser wurde. Ohne Botox, eher mit ein paar Gin and Tonics und viel viel Sonne in Gegenwart von Ursula Andress. Ja, das darf man. Ja das geht. Und ja, dieses Denken wird wiederkommen und sich gegen alle Trends durchsetzen. Darauf zünden wir uns eine Zigarre an und erheben den Tumbler. Es muss wieder mehr geraucht werden.

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PD Dr. Dominik Pförringer
Klinikum Rechts der Isar I doctos.de