Kardio-Digital – Datenbanken als Grundlage für Präzisionsmedizin und KI

Kardiovaskuläre Erkrankungen stellen in Deutschland, wie auch in anderen Ländern der industrialisierten Welt, seit Jahren unverändert die häufigste Todesursache dar. Trotz aller Innovationen und trotz des wissenschaftlichen Fortschritts – und die Herzmedizin ist eine der innovativsten Disziplinen der Medizin – konnte die hohe Prävalenz von Herz-Kreislauferkrankungen nicht relevant gesenkt werden. Doch woran liegt das? 

Als Beispiel soll die Prävention betrachtet werden. Im Alltag werden in der Regel Risikofaktoren wie Bluthochdruck, erhöhte Cholesterinwerte, Diabetes oder Rauchen herangezogen und durch Scores und Punksysteme zusammengefasst. Diese nehmen eine Gewichtung vor, um das Risiko für den einzelnen Patienten abzuschätzen, in den nächsten Jahren beispielsweise einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden. Trotz intensiver weltweiter wissenschaftlicher Bemühungen konnten in den letzten Jahrzehnten nur kleine Schritte in der Verbesserung der Vorhersage erzielt werden. Wie das Beispiel der Prävention von Herz-Kreislauferkrankungen zeigt, ist ein Paradigmenwechsel mittelfristig notwendig. Dieser kann mit Hilfe der kardiovaskulären Präzisionsmedizin gelingen, die basierend auf der vorliegenden Information des einzelnen Patienten eine individualisierte Diagnostik und eine spezifische Therapie anbietet. 

Doch wie gelingt die verlässliche Bereitstellung der notwendigen Daten mit hinreichender Genauigkeit? In der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Westdeutschen Herz- und Gefäßzentrum der Universitätsmedizin Essen haben wir hierfür eine prospektive Studie etabliert, in die Patienten der Klinik bei Aufnahme eingeschlossen werden. Im Rahmen der Studie führen wir Untersuchungen des Herzens, wie eine multimodale Bildgebung, biochemische Analysen aber auch interventionelle Therapien nach fest vorgeschriebenen Standards durch. Mittels der zugrundeliegenden Datenbank-Struktur werden die Informationen der einzelnen Modalitäten automatisiert zusammengeführt und stehen auf Knopfdruck bereit. Das Trainieren und Validieren von Algorithmen der künstlichen Intelligenz gelingt dadurch anhand einer Datenqualität, wie wir sie sonst nur aus klinischen Prüfungen kennen und welchen höchsten Ansprüchen genügt. Dieses Vorgehen erhöht zwar den Aufwand, sichert aber eine hohe Qualität der zugrundeliegenden Daten und ermöglicht die Kombination der Datenerfassung im Rahmen der klinischen Routine mit innovativen Erhebungen. So erhalten unsere Patienten unter anderem auch eine Foto-Aufnahme ihres Gesichts, um hieraus Rückschlüsse auf die zugrundeliegende Erkrankung zu ermöglichen. 

Doch damit stehen wir erst am Anfang. Bisher wird nur ein Bruchteil der erhobenen Datenpunkte für die Diagnostik und Therapie der Patienten eingesetzt. Denn der Mensch ist schlicht nicht in der Lage, alle einzelnen Datenpunkte für jeden einzelnen Patienten zu erfassen, zu bewerten und deren Interaktion zu analysieren. Hier braucht es die computerbasierte Unterstützung, die mit Zugriff auf alle Datenpunkte des einzelnen Patienten Muster identifizieren und damit Risikokonstellationen erkennen kann. Die Essenz dieser Information wird es dem behandelnden Arzt ermöglichen, für den einzelnen Patienten eine individualisierte Diagnostik und darauf aufbauend eine maßgeschneiderte Therapie anzubieten – ganz dem Ansatz der Präzisionsmedizin folgend. Dies birgt das Potential, die Qualität der medizinischen Versorgung zu verbessern, es ermöglicht aber auch den effizienten Umgang mit den raren Ressourcen im Gesundheitssystem. 

Sicherlich wird es notwendig sein, die Chancen aber auch die Risiken engmaschig zu evaluieren und den wissenschaftlichen Fortschritt mit Bedacht voranzutreiben. Da die Qualität der Daten entscheidend ist, müssen diese mit Sorgfalt erhoben werden, wie wir es am Westdeutschen Herz- und Gefäßzentrum im Rahmen der prospektiven Studien umsetzen. Aber auch mit Blick auf den Innovationsstandort Deutschland in seiner Vorreiterrolle für medizinischen Fortschritt müssen wir hier vorangehen. Nur so können wir die Standards definieren und die Risiken beherrschen. 

Vorheriger Artikel Nächster Artikel
>> In der Prävention ist ein Paradigmenwechsel notwendig. <<
Prof. Dr. Amir A. Mahabadi
Leitung Cardiac Trial Unit Klinik für Kardiologie und Angiologie, Universitätsmedizin Essen